Die Liebeshandlung
Das Einzige, was die Briefe erreichten, war, die Ohnmacht ihrer Eltern zu offenbaren, gleichsam eine säbelrasselnde, isolierte Diktatur, die ihre Drohungen nicht mehr wahr machen kann.
Ihr letzter Schritt war, eine Vermittlerin einzuschalten. Alwyn rief aus Beverly an.
«Ich habe gehört, du bist verlobt», sagte sie.
«Rufst du an, um mir zu gratulieren?»
«Herzlichen Glückwunsch. Mummy ist
stink sauer
.»
«Das hab ich dir zu verdanken», sagte Madeleine.
«Sie hätte es früher oder später selbst herausgefunden.»
«Hätte sie nicht.»
«Jetzt weiß sie es eben.» Im akustischen Überlauf aus dem Hörer konnte Madeleine Richard schreien hören. «Sie ruft mich dauernd an und bittet mich, dich ‹zur Vernunft zu bringen›.»
«Meldest du dich deshalb?»
«Nein», sagte Alwyn. «Ich habe ihr gesagt, wenn du ihn heiraten willst, ist das deine Sache.»
«Danke.»
«Bist du noch wütend auf mich wegen der Tabletten?», sagte Alwyn.
«Ja», sagte Madeleine. «Aber ich werde drüber wegkommen.»
«Bist du dir sicher, dass du ihn heiraten willst?»
«Auch ja.»
«Na dann. Ist ja deine Beerdigung.»
«He, das ist gemein!»
«Ich mache
Spaß
.»
Das offizielle Einlenken ihrer Eltern im Februar führte nur zu weiteren Konflikten. Sobald Alton und Madeleineaufgehört hatten, sich über den Ehevertrag und die Frage zu streiten, ob so ein Dokument nicht an sich schon das Vertrauen zerstörte, das jede Ehe zum Fortbestehen braucht, und sobald dieses Dokument von Roger Pyle, Altons Anwalt in der Stadt, aufgesetzt und von beiden Parteien unterschrieben worden war, fingen Phyllida und Madeleine an, über die Hochzeit selbst zu streiten. Madeleine wollte etwas Kleines, Intimes. Phyllida, sich ihrer gesellschaftlichen Rolle bewusst, wollte eine Hochzeit in der Größenordnung ausrichten, die ihr vorgeschwebt hätte, wäre Madeleine mit jemand Passenderem angekommen. Sie schlug vor, eine traditionelle Hochzeit in der örtlichen Kirche der Trinity-Episkopalgemeinde zu feiern, mit anschließendem Empfang in ihrem Haus. Madeleine sagte nein. Dann schlug Alton eine zwanglose Zeremonie im Century Club in New York vor. Dem stimmte Madeleine zögernd zu. Doch eine Woche bevor die Einladungen hinausgehen sollten, stießen sie und Leonard auf eine alte Seemannskirche am Ortsrand von Provincetown. Und dort, in einer kahlen, einsamen Gegend am Ende einer menschenleeren Halbinsel, in einer Landschaft wie aus einem Bergman-Film, wurden Madeleine und Leonard getraut. Phyllidas und Altons treueste Freunde unternahmen die strapaziöse Reise von Prettybrook aufs Cape. Madeleines Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins waren da sowie Alwyn, Blake und Richard. Leonards Familie kam, und Vater, Mutter und Schwester schienen allesamt viel netter als in Leonards Beschreibung. Die Mehrheit der sechsundvierzig Gäste bildeten allerdings Madeleines und Leonards Studienfreunde, die den feierlichen Anlass weniger als religiösen Ritus betrachteten denn als Gelegenheit zum Jubeln und Johlen.
Beim Abendessen vor der Trauung spielte Leonard einlettisches Lied auf der Kokle, und Kelly Traub, deren Großeltern aus Riga stammten, sang dazu. Beim Hochzeitsbankett hielt er eine kurze Tischrede, in der er so taktvoll auf seinen Zusammenbruch anspielte, dass nur Eingeweihte den Hinweis verstanden, und in der er Madeleine dafür dankte, dass sie sein «guter viktorianischer Engel» war. Um Mitternacht, nachdem sie sich für die Reise umgezogen hatten, fuhren sie in einer Limousine nach Boston ins Four Seasons, wo sie sofort einschliefen. Am nächsten Nachmittag reisten sie nach Europa ab.
Rückblickend dachte Madeleine, sie hätte die Warnzeichen vielleicht schneller bemerkt, wenn sie nicht auf Hochzeitsreise gewesen wäre. Sie war so aufgeregt, mitten im Frühling in Paris zu sein, dass in der ersten Woche alles bestens erschien. Sie wohnten im selben Hotel, in dem Phyllida und Alton
ihre
Flitterwochen verbracht hatten, einem Drei-Sterne-Etablissement, das seine Glanzzeit hinter sich hatte, mit lauter weißhaarigen Obern, die die Tabletts in riskanter Schieflage trugen. Aber das Hotel war durch und durch französisch. (Leonard behauptete, er hätte eine Maus mit einer Baskenmütze gesehen.) Es wohnten dort keine anderen Amerikaner, und der Ausblick ging auf den Jardin des Plantes. Leonard war noch nie in Europa gewesen. Es machte Madeleine glücklich, ihn herumzuführen, sich einmal etwas besser auszukennen als er.
In den Restaurants wurde er
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