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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Speisewagenkellner kam, um ihre Bestellung aufzunehmen, bestand Leonard darauf, auf Französisch zu bestellen. Er bekam die Wörter heraus, aber seine Aussprache war grässlich. Madeleine wiederholte seinen Wunsch. Als sie damit fertig war, funkelte er sie an.
    «Was ist?»
    «Warum hast du für mich bestellt?»
    «Weil der Kellner dich nicht verstanden hat.»
    «Er hat mich bestens verstanden», beharrte Leonard.
    Es war Abend, als sie in Nizza ankamen. Nachdem sie in ihrem Hotel eingecheckt hatten, gingen sie in ein kleines Restaurant weiter hinten in der Straße. Während des ganzen Essens verhielt Leonard sich bewusst distanziert. Er trank Unmengen vom Wein des Hauses. Seine Augen glitzerten jedes Mal, wenn die junge Kellnerin an ihren Tisch kam. Fast während der ganzen Mahlzeit saßen Madeleine und Leonard wortlos da, wie ein seit zwanzig Jahren verheiratetesPaar. Zurück im Hotel, benutzte Madeleine die übelriechende Gemeinschaftstoilette. Beim Pinkeln las sie das Schild, das auf Französisch davor warnte, Papier ins Klosett zu werfen. Als sie den Kopf drehte, machte sie den Ursprung des Gestanks aus: Der Abfallkorb quoll über von benutztem Toilettenpapier.
    Würgend floh sie zurück ins Zimmer. «O Gott!», sagte sie. «Die Toilette ist so eklig!»
    «Du bist eben eine Prinzessin.»
    «Geh mal rein! Dann siehst du es.»
    Leonard nahm in aller Ruhe seine Zahnbürste mit aufs WC und kam ungerührt zurück.
    «Wir müssen uns ein anderes Hotel suchen», sagte Madeleine.
    Leonard feixte. Mit glasigen Augen sagte er geziert: «Die Prinzessin von Prettybrook ist entsetzt!»
    Sobald sie im Bett lagen, packte Leonard sie bei den Hüften und drehte sie auf den Bauch. Sie wusste, dass sie ihn, so wie er sie den ganzen Abend behandelt hatte, nicht mit ihr schlafen lassen sollte. Aber zugleich fühlte sie sich so traurig und unerwünscht, dass es eine ungeheure Erleichterung war, berührt zu werden. Sie war dabei, einen schrecklichen Pakt abzuschließen, der Auswirkungen auf ihr gesamtes Eheleben haben mochte. Aber sie konnte nicht nein sagen. Sie ließ zu, dass Leonard sie umdrehte und, nicht liebevoll, von hinten nahm. Sie war nicht bereit, und zunächst tat es weh. Blindlings zustoßend, kümmerte Leonard sich nicht darum. Sie hätte irgendeine Frau sein können. Als es vorbei war, fing sie an zu weinen, zunächst leise, dann weniger leise. Leonard sollte es hören. Aber er schlief oder gab vor zu schlafen.
    Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war Leonard nichtda. Madeleine wollte ihre Mutter anrufen, doch an der Ostküste war es mitten in der Nacht. Und es war gefährlich, sich offiziell über Leonards Verhalten zu äußern. Sie würde es nie zurücknehmen können. Stattdessen stand sie auf und suchte in seinem Kulturbeutel nach den Tablettenfläschchen. Eins war halb leer. Das andere hatte Leonard vor der Hochzeit auffüllen lassen, damit ihm die Pillen nicht ausgingen, während er in Europa war.
    Beruhigt, dass er seine Medikamente nahm, saß Madeleine auf der Bettkante und versuchte herauszufinden, wie sie mit der Situation umgehen sollte.
    Die Tür ging auf, und Leonard stürmte herein. Er strahlte, als wäre nichts geschehen.
    «Ich habe eben ein neues Hotel für uns gefunden», sagte er. «Viel schöner. Es wird dir gefallen.»
    Die Versuchung, die vorangegangene Nacht einfach zu übergehen, war groß. Aber Madeleine wollte keinen Präzedenzfall schaffen. Zum ersten Mal spürte sie die Last der Ehe. Sie konnte Leonard nicht mehr einfach ein Buch an den Kopf werfen und gehen, wie sie es früher getan hatte.
    «Wir müssen reden», sagte sie.
    «Okay», sagte Leonard. «Wie wär’s beim Frühstück?»
    «Nein. Jetzt.»
    «Okay», sagte er wieder, ein wenig sanfter. Er sah sich im Zimmer nach einem Sitzplatz um, aber es gab keinen, also blieb er stehen.
    «Du warst gestern so gemein zu mir», sagte Madeleine. «Zuerst wurdest du wütend auf mich, als ich für dich bestellt habe. Beim Essen hast du dich dann so benommen, als wäre ich gar nicht da. Du hast mit der Kellnerin geflirtet   –»
    «Ich habe nicht mit der Kellnerin geflirtet.»
    «Doch! Hast du wohl. Und dann sind wir wieder hierhergekommen,und du   … du   … du hast mich benutzt wie ein Stück Fleisch!» Als sie das sagte, brach sie in Tränen aus. Ihre Stimme war ganz quietschig und mädchenhaft geworden, was sie verabscheute, aber nicht verhindern konnte. «Du hast dich aufgeführt, als wärst du   … mit dieser Kellnerin

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