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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Erst- und Zweitsemester ganz unten. Nach seinem Misserfolg mit Madeleine hatte Mitchell ein langes, frustrierendes Jahr verbracht. Viele Abende davon verstrichen, indem er mit Leidensgefährten das als «Pig Book» bekannte Jahrgangsverzeichnis durchging und die hübschesten Mädchen heraussuchte. Tricia Parkinson, Cleveland, OH, hatte prachtvolles Farrah-Fawcett-Haar. In ihrer Vichy-Karo-Bluse sah Jessica Kennison, Old Lyme, MA wie ein Traum von einer Farmerstochter aus. Madeleine Hanna, Prettybrook, NJ, hatte einen Schwarzweiß-Schnappschuss von sich eingereicht, auf dem sie in die Sonne blinzelte, während der Wind ihr das Haar über die Stirn wehte. Es war ein zwangloses Bild, weder gestellt noch arrogant, aber auch nicht ihr bestes. Die meisten überblätterten es einfach, konzentrierten sich auf Schönheiten, die besser beleuchtet ins Auge sprangen. Mitchell machte sie nicht auf ihren Irrtum aufmerksam. Er wollte Madeleine Hanna als sein kleines Geheimnis bewahren, und zu diesem Zweck deutete er auf Sarah Kripke, Tuxedo Park, NY .
    Was sein eigenes Foto im Pig Book anbelangte, so hatte Mitchell ein Bild eingeschickt, das aus einem Geschichtsbuch über den Amerikanischen Bürgerkrieg ausgeschnitten war: das hagere Konterfei eines lutherischen Geistlichen mit weißem Haarschopf, winziger Brille und einem Ausdruck moralischer Entrüstung. Die Herausgeber hatten es beflissen über die Bildlegende Mitchell Grammaticus, Grosse Pointe, MI gesetzt. Das Porträt des alten Mannes zu verwenden befreite Mitchell von der Notwendigkeit, ein eigenes Foto von sich einzuschicken, und damit auch von seiner Teilnahme an dem Schönheitswettbewerb, zu dem das Pig Book unvermeidlich wurde. Es war eine Möglichkeit, sein körperliches Ich verschwindenzu lassen und durch ein Zeichen seines Witzes zu ersetzen.
    Falls Mitchell gehofft hatte, die Mädchen am College würden sein Spaßfoto sehen und sich daraufhin für ihn interessieren, wurde er bitter enttäuscht. Keine Einzige schenkte ihm viel Beachtung. Derjenige, dessen Foto weibliches Interesse weckte, war Leonard Bankhead, Portland, OR. Bankhead hatte ein seltsames Foto von sich eingereicht, das ihn mit einer komisch hohen Wollmütze auf einem verschneiten Feld zeigte. Für Mitchell sah Bankhead weder besonders gut noch besonders schlecht aus. Aber im Verlauf des ersten Collegejahres drangen Geschichten von Bankheads sexuellen Erfolgen in die Zonen der Entbehrung, die Mitchell als Habitat dienten. John Kass, der mit Bankheads Zimmergenossen auf die Highschool gegangen war, behauptete, Bankhead habe seinen Freund so oft genötigt, woanders zu schlafen, dass der schließlich ein Einzelzimmer beantragt habe. Eines Abends sah Mitchell den legendären Bankhead auf einer Party im West Quad einem Mädchen ins Gesicht starren, als probte er eine Gedankenverschmelzung. Mitchell verstand nicht, weshalb die Mädchen Bankhead nicht durchschauten. Er dachte, der Ruf als Schürzenjäger würde seine Attraktivität mindern, aber es geschah genau das Gegenteil. Je mehr Mädchen es waren, mit denen Bankhead schlief, desto mehr wollten mit ihm schlafen. Woran Mitchell voller Unbehagen merkte, wie wenig er überhaupt von Mädchen wusste.
    Zum Glück ging das erste Collegejahr irgendwann zu Ende. Als Mitchell im Herbst zurückkehrte, war da eine völlig neue Schar Erstsemesterstudentinnen, von denen eine, eine Rothaarige aus Oklahoma, im Frühjahrssemester seine Freundin wurde. Er vergaß Bankhead. (Außer in einem religionswissenschaftlichen Kurs, an dem sie im zweitenJahr beide teilnahmen, sah er ihn den Rest der Collegezeit über kaum.) Als die Oklahomerin sich von ihm trennte, ging Mitchell mit anderen Mädchen aus und schlief mit wieder anderen, ließ die Zonen der Entbehrung hinter sich. Dann, im letzten Collegejahr, zwei Monate nach dem Wärmegel-Zwischenfall, hörte er, Madeleine habe einen neuen Freund und der Glückliche sei Leonard Bankhead. Zwei oder drei Tage lang blieb Mitchell wie vor den Kopf geschlagen, fand sich mit der Neuigkeit ab und doch nicht ab, bis er eines Morgens beim Aufwachen von derart heftigen Gefühlen der Herabsetzung und Hoffnungslosigkeit überschwemmt wurde, dass er sich vorkam, als wäre sein ganzer Selbstwert (wie auch sein Schwanz) auf die Größe einer Erbse zusammengeschrumpelt. Bankheads Erfolg bei Madeleine enthüllte die Wahrheit über Mitchell. Er hatte nicht das Zeug dazu. Er machte keinen Stich. Da also rangierte er. Aus dem Rennen.
    Seine Niederlage

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