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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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für das Rätsel der Existenz. Es war wie im Song der Talking Heads:
You may ask yourself, Well, how did I get here?   … And you may tell yourself, This is not my beautiful house. And you may tell yourself, This is not my beautiful wife.
Während Mitchell sich die Prüfungsfragen nacheinander vornahm, richtete er seine Antworten ganz auf deren praktische Anwendung aus. Er wollte wissen, weshalb er da war, wie er leben sollte. Es war ideal, um seine Collegelaufbahn zu beenden. So führte die Ausbildung ihn ins Leben hinaus.
    Kaum hatte er die Hausarbeit abgegeben, vergaß er das alles. Die Abschlussfeier nahte. Er und Larry waren mit der Planung ihrer Reise beschäftigt. Sie kauften sich Rucksäckeund für Minusgrade geeignete Schlafsäcke. Sie brüteten über Landkarten und Alternativreiseführern, dachten sich eventuelle Routen aus. Eine Woche später ging Mitchell bei der Poststelle im Faunce House vorbei und fand einen Brief in seinem Fach. Er war von Professor Richter, geschrieben auf universitätseigenem Papier. Richter bat ihn zu einem Gespräch in sein Büro.
    Mitchell war noch nie in Richters Büro gewesen. Bevor er hinging, holte er im Blue Room zwei Eiskaffee – eine ungewöhnliche Geste, aber es war heiß draußen, und er mochte es, wenn seine Professoren sich an ihn erinnerten. Er trug die hohen, abgedeckten Becher in der Mittagssonne zum Backsteingebäude hinüber. Die Fachbereichssekretärin sagte ihm, wo Richter zu finden sei, und Mitchell nahm die Treppe zum ersten Stock.
    Alle anderen Büros waren verwaist. Die Buddhisten hatten den Abflug in die Sommerferien gemacht. Die Islamwissenschaftler waren in Washington, um dem Außenministerium Einblick in den «Bezugsrahmen» von Abu Nidal zu geben, die gerade vor der Französischen Botschaft in West-Beirut eine Autobombe gezündet hatten. Nur die Tür am Ende des Flurs stand offen, und innen, trotz des schwülen Wetters mit Krawatte, saß Richter.
    Richters Büro war nicht die kahle Zelle eines Professors ohne Residenzpflicht, der sich nur während der Sprechzeiten dort aufhält. Es war auch nicht die heimelige Arbeitsstube eines Lehrstuhlinhabers, mit Lithographien und einem Shakerteppich. Richters Büro war klassisch, beinahe im Stil der Wiener Werkstätte. Es gab verglaste Bücherschränke voller ledergebundener Werke der Theologie, eine Lupe mit Elfenbeingriff, ein Tintenfass aus Messing. Der Schreibtisch war massiv, ein Bollwerk gegen die schleichende Ignoranzund Ungenauigkeit der Welt. Dahinter saß Richter, schrieb mit einem Füllfederhalter etwas auf.
    Mitchell trat ein und sagte: «Wenn ich je ein Büro haben sollte, Professor Richter, möchte ich so eins.»
    Richter tat etwas Erstaunliches: Er lächelte. «Vielleicht bekommen Sie ja die Gelegenheit», sagte er.
    «Ich habe einen Eiskaffee mitgebracht.»
    Richter starrte über den Tisch hinweg auf die Gabe, leicht überrascht, aber nachsichtig. «Danke», sagte er. Er schlug eine Dokumentenmappe auf und nahm ein Bündel Papier heraus. Mitchell erkannte es als seine Hausarbeit. Offenbar war darin etliches angemerkt, in einer eleganten Handschrift.
    «Nehmen Sie Platz», sagte Richter.
    Mitchell setzte sich.
    «Ich lehre nun seit zweiundzwanzig Jahren an diesem College», begann Richter. «Und in der ganzen Zeit wurde mir nur ein einziges Mal eine Arbeit abgeliefert, die in puncto Erkenntnis und philosophischem Scharfsinn derart in die Tiefe ging wie Ihre.» Er legte eine Pause ein. «Der letzte Student, von dem ich das sagen konnte, ist jetzt Dekan des Priesterseminars in Princeton.»
    Richter hielt inne, als wartete er ab, bis seine Worte ins Bewusstsein gedrungen waren. Sie taten es nicht wirklich. Mitchell war froh, dass er gut abgeschnitten hatte. Es war nichts Besonderes für ihn, am College gut abzuschneiden, aber es freute ihn trotzdem. Weiter reichten seine Gedanken nicht.
    «Sie machen dieses Jahr Ihren Abschluss, nicht wahr?»
    «In einer Woche, Herr Professor.»
    «Haben Sie schon einmal ernsthaft daran gedacht, in der Wissenschaft zu bleiben?»
    «Nicht ernsthaft, nein.»
    «Was haben Sie mit Ihrem Leben vor?», fragte Richter.
    Mitchell lächelte. «Verbirgt sich etwa mein Vater unter Ihrem Schreibtisch?», sagte er.
    Richter runzelte die Stirn. Er lächelte nicht mehr. Er faltete die Hände, setzte neu an. «Aus Ihrer Arbeit habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie sich persönlich mit Glaubensdingen beschäftigen. Habe ich recht?»
    «So könnte man das wohl sagen», sagte

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