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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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einem Aschenbecher, ein vom Regen durchweichtes Exemplar von
Jahrmarkt der Eitelkeiten
. Struppige Weinranken hingen von einem unsichtbaren Spalier.
    Madeleine beugte sich über das wacklige Geländer und sah auf den Rasen.
    Es musste die Liebende in ihr gewesen sein, die geweinthatte, nicht die Romantikerin. Sie verspürte keinen Drang zu springen. Sie war nicht wie Werther. Abgesehen davon ging es nur fünf Meter in die Tiefe.
    «Achtung», sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr. «Du bist hier nicht allein.»
    Sie drehte sich um. Ans Haus gelehnt, halb vom Wein verdeckt, stand Thurston Meems.
    «Hab ich dich erschreckt?», fragte er.
    Madeleine überlegte einen Augenblick. «So gruselig bist du auch wieder nicht.»
    Thurston nahm das wohlwollend auf. «Stimmt, eher gruselt es mich selbst. Genau genommen verstecke ich mich gerade.»
    Die nachwachsenden Augenbrauen rahmten seine großen Augen. Er lehnte auf den Hacken seiner knöchelhohen Turnschuhe, beide Hände in den Hosentaschen.
    «Gehst du immer auf Partys, um dich zu verstecken?», fragte Madeleine.
    «Partys fördern meinen Menschenhass zutage», sagte Thurston. «Warum bist
du
hier draußen?»
    «Aus demselben Grund», sagte Madeleine und überraschte sich selbst, indem sie lachte.
    Um Platz zu schaffen, schob Thurston den Mülleimer beiseite. Er nahm das Buch, hielt es sich nahe vors Gesicht, um erkennen zu können, was es war, und schleuderte es vom Balkon. Es verursachte ein dumpfes Geräusch im nassen Gras.
    «Du kannst
Jahrmarkt der Eitelkeiten
wohl nicht leiden», sagte Madeleine.
    «‹Eitelkeit der Eitelkeiten, spricht der Prediger›», sagte Thurston, «und der ganze Scheiß.»
    Auf der Straße hielt ein Auto, dann setzte es ein Stück zurück.Leute stiegen aus; mit Sixpacks beladen, näherten sie sich dem Eingang.
    «Noch mehr Feierlustige», sagte Thurston, während er auf sie hinunterstarrte.
    Ein Schweigen folgte. Schließlich sagte Madeleine:
    «Worüber hast du in Semiotik eigentlich geschrieben? Derrida?»
    «Naturellement»
, sagte Thurston. «Und du?»
    «Barthes.»
    «Welches Buch?»
    «Fragmente einer Sprache der Liebe.»
    Thurston kniff die Augen fest zusammen, nickte erfreut. «Das ist ein starkes Buch.»
    «Findest du es gut?», sagte Madeleine.
    «Die Sache mit diesem Buch», sagte Thurston, «ist doch die, dass es dem Anschein nach eine Dekonstruktion der Liebe ist. Es soll einen kalten Blick auf die ganze Romantikkiste werfen, oder? Aber es liest sich wie ein Tagebuch.»
    «Genau darüber habe ich geschrieben!», rief Madeleine. «Ich habe Barthes’ Dekonstruktion der Liebe dekonstruiert.»
    Thurston hörte gar nicht auf zu nicken. «Das würde ich gern mal lesen.»
    «Wirklich?» Madeleines Stimme kletterte eine halbe Oktave höher. Sie räusperte sich, um sie wieder nach unten zu holen. «Ich weiß nicht, ob es überhaupt gut geworden ist. Aber vielleicht.»
    «Zipperstein ist irgendwie hirntot, findest du nicht?», sagte Thurston.
    «Ich dachte, du bist ein Fan von ihm.»
    «Ich? Nein. Ich bin ein Semiotik-Fan, aber   –»
    «Nie sagt er was!»
    «Ich weiß», stimmte Thurston zu. «Er ist unergründlich. Wie Harpo Marx ohne Hupe.»
    Madeleine stellte fest, dass sie Thurston, völlig unerwartet, mochte. Als er fragte, ob sie etwas trinken wolle, sagte sie ja. Sie kehrten in die Küche zurück, wo es noch lauter und voller geworden war. Der Typ mit der Baseballkappe hatte sich nicht vom Fleck gerührt.
    «Willst du dein Bier die ganze Nacht bewachen?», fragte ihn Madeleine.
    «Wenn’s nötig ist», sagte er.
    «Nimm dem bloß kein Bier weg», sagte Madeleine zu Thurston. «Er ist sehr eigen mit seinem Bier.»
    Thurston hatte den Kühlschrank schon aufgemacht und fasste hinein, dabei hing seine Biker-Lederjacke offen. «Welches Bier gehört dir denn?», fragte er den anderen.
    «Das Grolsch.»
    «Ah, ein Grolsch-Mann, was?», sagte Thurston und schichtete Flaschen um. «Liebhaber des althergebrachten teutonischen Gummipfropfen-Dingsbums mit Keramikkopf. Ich kann deine Vorliebe schon nachvollziehen. Die Sache ist nur, dass ich mich frage, ob die Grolsch-Familie je die Absicht hatte, diese gummiverpfropften Flaschen über den Atlantik zu schiffen. Verstehst du, was ich meine? Ich hab schon mehr als genug vergorene Grolsch erwischt. Ich würd’s nicht mal trinken, wenn du mich dafür bezahlst.» Jetzt hielt Thurston zwei Dosen Narragansett hoch. «Diese sind allenfalls drei Kilometer gereist.»
    «Narragansett schmeckt wie

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