Die Liebeshandlung
jedenfalls zu wirken. Thurston bestellte zwei letzte Budweiser, die er in den Taschen seiner Lederjacke mit nach draußen schmuggelte, und die tranken sie, während sie den College Hill hinauf zu seiner Wohnung gingen. Madeleines Wahrnehmung war herrlich auf Dinge beschränkt, die sie nicht verletzen konnten: das struppige urbane Gebüsch, den schwankenden Bürgersteig, das Klimpern der Ketten an Thurstons Jacke.
Sie betrat sein Zimmer, ohne die Treppe, die dort hinaufführte, auch nur bemerkt zu haben. Aber einmal angekommen, war Madeleine sich über das Protokoll im Klaren und fing an, sich auszuziehen. Sie legte sich auf den Rücken, versuchte lachend, ihre Schuhe zu packen, und schleuderte sie schließlich von sich. Thurston dagegen war sofort bis auf seine Unterwäsche nackt. Er lag vollkommen still, passte sich den weißen Laken an wie ein Chamäleon.
Beim Küssen war Thurston ein Mimimalist. Er drückte seine dünnen Lippen auf Madeleines, und sobald sie ihre öffnen wollte, zog er seinen Mund weg. Es war, als wischteer seine Lippen an ihren ab. Dieses Versteckspiel war ein bisschen brüskierend. Aber Madeleine wollte nicht unglücklich sein. Sie wollte nicht, dass irgendetwas schiefging (das reinigende Bier sollte reinigen), und so ließ sie Thurstons Mund und begann, ihn anderswohin zu küssen. Auf seinen Ric-Ocasek-Hals, seinen vampirweißen Bauch, vorn auf seine Boxershorts.
Inmitten all dessen blieb er stumm, Thurston, der Vielredner aus dem Seminar.
Madeleine war nicht bewusst, was sie suchte, als sie Thurstons Unterhose herunterzog. Sie stand neben sich, während sie es machte. Manche gefederten Türfeststeller verursachen ein schwirrendes Geräusch, wenn sie losgelassen werden: Madeleine fühlte sich gezwungen zu tun, was sie als Nächstes tat. Das Verkehrte daran leuchtete unmittelbar ein, jenseits von Moral, direkt biologisch. Ihr Mund war einfach nicht das Organ, das die Natur für diese Aufgabe bestimmt hatte. Sie fühlte sich oral überstrapaziert, wie eine Zahnpatientin, die aufs Trocknen eines Abdrucks wartet. Hinzu kam, dass dieser Abdruck keine Ruhe gab. Wer hatte sich das bloß ausgedacht? Wer war das Genie, das meinte, Lust und Würgen passten zueinander? Es gab einen besseren Ort, um Thurston unterzubringen, aber unter dem Einfluss physischer Reize – Thurstons ungewohntem Geruch, dem leichten Froschgestrampel seiner Beine – wusste Madeleine schon jetzt, dass sie ihn an diesem anderen Ort niemals einlassen würde. Also musste sie mit dem, was sie tat, weitermachen, musste ihr Gesicht über Thurston senken, während er sich aufblähte wie ein Stent, der dazu da war, die Schlagader in ihrem Hals zu weiten. Ihre Zunge begann Abwehrbewegungen, wurde ein Schild gegen tiefere Penetration, ihre Hand die eines Schutzmanns beim Zeichen Halt! Miteinem Auge sah sie, dass Thurston sich ein Kissen unter den Kopf geschoben hatte, zum Zuschauen.
Was Madeleine hier, bei Thurston, suchte, war nicht etwa Thurston. Es war Selbsterniedrigung. Sie wollte sich erniedrigen, und sie hatte es getan, obwohl sie nicht genau wusste, weshalb, außer dass es mit Leonard und dem Ausmaß ihres Leids zusammenhing. Ohne zu Ende zu bringen, was sie angefangen hatte, hob Madeleine den Kopf, setzte sich auf ihre Fersen und weinte leise.
Thurston beschwerte sich nicht. Er blinzelte kurz und blieb still liegen. Für den Fall, dass die Nacht noch zu retten war.
Am nächsten Morgen erwachte sie in ihrem eigenen Bett. Auf dem Bauch, die Hände hinter dem Kopf, wie das Opfer einer Exekution. Die, unter den gegebenen Umständen, vielleicht die bessere Lösung gewesen wäre. Eine große Erleichterung jedenfalls.
Mit seinem Horror setzte ihr Kater nahtlos den Horror der vergangenen Nacht fort. So schlugen sich die emotionalen Turbulenzen physiologisch nieder: Der ungesunde, wodkagetränkte Hautgout in ihrem Mund bekam den Beigeschmack von Reue; ihre Übelkeit wurde selbstreflexiv, als wollte sie nicht den Mageninhalt, sondern ihre Persönlichkeit erbrechen. Madeleines einziger Trost bestand in dem Wissen, dass sie – im technischen Sinne – unberührt geblieben war. Es wäre so viel schlimmer gewesen, sich daran erinnern zu müssen, wie Thurston, tröpfelnd, auslaufend, in ihr gekommen wäre.
Dieser Gedanke wurde vom Schrillen der Türklingel und der plötzlichen Erkenntnis unterbrochen, dass es der Tag der Abschlussfeier war und ihre Eltern unten standen.
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In der sexuellen Collegehierarchie rangierten männliche
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