Die Liebeshandlung
war eine schlechte Neuigkeit für Geri. Bei früheren Jobs hatte Mitchell immer Mittel und Wege gefunden, ein bisschen zu faulenzen. Die Restaurantarbeit machte das unmöglich. Die einzige Verschnaufpause waren die fünfzehn Minuten, in denen er sein Essen hinunterschlang. Mitchell nahm selten Gyros. Das Fleisch war kein Lamm, sondern eine Rinder-Schweine-Mischung, wie eine Vierzig-Kilo-Dose Frühstücksfleisch. Im Fenster zur Straße hin drehten sich drei einzelne Spieße, während die Grillmeister darin herumstocherten und -stachen und scheibchenweise Fleisch abschnippelten. Einer der Köche, Stavros, hatte eine herzkranke Frau, die zwei Jahre zuvor ins Koma gefallen war. Täglich, vor der Arbeit, ging er im Krankenhaus vorbei, um an ihrem Bett zu sitzen. Im Hinblick auf die Chancen ihrer Genesung machte er sich nichts vor.
Frage:
Wer sagt, Beten sei immer möglich, sogar beim Kochen?
Antwort:
Der heilige Johannes Chrysostomos (um 400 v. Chr.) sagt, dass Beten immer möglich ist, sogar beim Kochen.
Und so zog der Sommer sich hin. Mitchell räumte Tische ab, kratzte ungegessenes Essen, Knochen und Fett sowie zum Naseputzen verwendete Servietten in den riesigen, mit Plastik ausgeschlagenen Abfalleimer und fügte dem nie abnehmenden Stapel schmieriger Teller – der den jemenitischen Tellerwäscher (der Einzige, der einen schlechteren Job hatte als er selbst) zwergenhaft erscheinen ließ – immer neue hinzu, und so arbeitete er sieben Schichten in der Woche, bis er genügend Geld beisammenhatte, um sich ein Flugticket nach Paris und 3280 U S-Dollar in American-Express-Reiseschecks zu besorgen. Innerhalb einer Woche war er auf und davon, erst nach New York und drei Tage später nach Paris, wo er jetzt, ohne eine Bleibe, im Regen die Avenue Rapp entlangging.
Die Rinnsteine quollen über. Der Regen prasselte ihm auf den Schädel, lief ihm in den Kragen. Eine Arbeiterkolonne im Späteinsatz arrangierte Lumpenbündel auf der Straße, um den Wasserstrom zu lenken. Erst drei Blocks weiter sah Mitchell an der Ecke gegenüber ein Hotel. Als er sich in den Eingang duckte, stand dort schon ein anderer glückloser Rucksackreisender, ein Mann mit Regenumhang, dem Wassertropfen von der Spitze seiner langen Nase fielen.
«Sämtliche Hotels in Paris sind ausgebucht», sagte er. «Ich war schon überall.»
«Hast du geklingelt?»
«Schon dreimal.»
Sie mussten noch weitere zwei Male klingeln, um die Concierge zu rufen. Sie kam vollständig angezogen, ordentlich gekämmt. Sie musterte die beiden mit einem kühlen Blick und sagte etwas auf Französisch.
«Sie hat nur noch ein Zimmer», sagte der Mann. «Sie will wissen, ob wir es zusammen nehmen.»
«Du warst zuerst hier», sagte Mitchell großzügig.
«Halbe-halbe wird es billiger.»
Die Concierge führte sie in den zweiten Stock. Nachdem sie die Tür aufgeschlossen hatte, trat sie beiseite, damit die beiden sich einen Eindruck verschaffen konnten.
Es gab nur ein Bett.
«C’est bien?»
, sagte die Frau.
«Sie will wissen, ob es in Ordnung ist», erklärte der andere Mitchell.
«Wir haben keine große Wahl.»
«C’est bien»
, sagte der andere.
«Bonne nuit»
, sagte die Concierge und zog sich zurück.
Sie nahmen ihre Rucksäcke ab und stellten sie, von Wasser triefend, auf den Fußboden.
«Ich heiße Clyde», sagte der andere.
«Mitchell.»
Während Clyde sich an dem winzigen Waschbecken im Zimmer wusch, nahm Mitchell ein Gästehandtuch und ging zum WC hinten im Flur. Als er nach dem Pinkeln an der Kette der Wasserspülung zog, kam er sich wie ein Lokführer vor. Zurück im Zimmer, stellte er erfreut fest, dass Clyde sich schon ins Bett gelegt und mit dem Gesicht zur Wand gedreht hatte. Mitchell entkleidete sich bis auf die Unterwäsche.
Das Problem war, dass er nicht wusste, wohin mit seiner Geldbörse.
Da er nicht, wie ein Tourist, mit einer Bauchtasche herumlaufen, seine Wertsachen aber auch nicht im Gepäck verstauen wollte, hatte Mitchell sich eine Fliegenfischer-Börse gekauft. Sie war wasserdicht, mit dem Motiv einer fliegenden Forelle darauf und verstärktem Reißverschluss. Sie hatte Gummischlaufen, damit man sie am Gürtel tragen konnte.Aber weil eine Geldbörse am Gürtel auf das Gleiche hinausgelaufen wäre wie eine umgeschnallte Bauchtasche, hatte Mitchell die Tasche mit einer Schnur an seine Gürtelschlaufe gebunden und unter den Hosenbund seiner Jeans gesteckt. Dort war sie in Sicherheit. Aber jetzt, mit einem Fremden im Zimmer, musste er
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