Die Liebeshandlung
Fernsehen Baseball schaute, hielt er Madeleines Hand.
«Weißt du, was
Paradies
bedeutet?», fragte er.
«Bedeutet es nicht ‹Paradies›?»
«Es bedeutet ‹umwallter Garten›. Aus dem Altpersischen. Genau das ist ein Baseballstadion. Besonders Fenway Park. Ein umwallter Garten. Sieh nur, wie grün es ist! Das tut vielleicht gut, einfach hier zu sitzen und dieses grüne Feld zu sehen.»
«Vielleicht solltest du Golf gucken», sagte Madeleine.
«Noch grüner.»
Das Lithium machte ihn die ganze Zeit durstig, und sporadisch wurde ihm übel davon. Er bekam einen leichten Tremor in der rechten Hand. Während der Wochen im Krankenhaus hatte Leonard über sieben Kilo angesetzt, und im Juli und August legte er weiter an Gewicht zu. Sein Gesicht und Körper sahen aufgeschwemmt aus, der Fettwulst in seinem Nacken ähnelte dem Höcker eines Büffels. Einhergehend mit dem Durst, musste er ständig pinkeln. Er hatte Bauchschmerzen und Anfälle von Diarrhö. Das Allerschlimmste aber war, dass er sich durch das Lithium geistig nicht mehr auf der Höhe fühlte. Leonard behauptete, es gebe ein «höheres Register», das er intellektuell nicht mehr erreiche. Wie um dagegen anzukämpfen, kaute er noch mehr Tabak und begann zu rauchen, nicht nur Zigaretten, sondern auch stinkende Zigarillos, für die er im Krankenhaus eine Vorliebe entwickelt hatte. Seine Kleidung war verräuchert. Sein Mund schmeckte wie ein Aschenbecher, mit noch einem anderen, metallisch-chemischen Beigeschmack, den Madeleine nicht mochte.
Infolge all dessen, eine Nebenwirkung der Nebenwirkungen, schwand Leonards Libido. Nachdem sie sich in der ersten Erregung ihres neuen Zusammenseins zwei- oder dreimal am Tag geliebt hatten, schliefen sie seltener miteinander und dann fast gar nicht mehr. Madeleine war unsicher, was sie tun sollte. Leonards Problem mehr Beachtung schenken oder weniger? Sie war im Bett nie sehr aktiv gewesen. Das Leben hatte ihr so etwas nicht abverlangt. Den Typen schien es egal gewesen oder, da sie selbst so aktiv waren, nicht aufgefallen zu sein. Eines Abends nahm sie das Problem in Angriff wie einen Stoppball auf dem Tennisplatz: Sie legte sich voll ins Zeug, war scheinbar rechtzeitig zur Stelle, beugte sich tief hinunter und schnippte den Return – der die Netzkante traf und schlapp auf ihre Seite des Spielfelds zurückfiel.
Danach versuchte sie es nicht wieder. Sie hielt sich zurück, blieb bei ihrem gewohnten Grundlinienspiel.
Das alles hätte Madeleine wohl mehr gestört, wenn Leonards Bedürftigkeit nicht so reizvoll für sie gewesen wäre. Irgendwie war es angenehm, ihren großen Bernhardiner ganz für sich zu haben. Er wollte nicht mehr ausgehen, nicht einmal mehr ins Kino. Er interessierte sich nur noch für sein Hundebett, sein Hundeschälchen und sein Frauchen. Er legte seinen Kopf auf ihren Schoß, wollte gekrault werden. Jedes Mal, wenn sie hereinkam, wedelte er mit dem Schwanz. War immer so nachweislich
da
, ihr großes Kuscheltier, ihr dicker alter Wuschelpuschel.
Keiner der beiden hatte eine Arbeit. Die langen Sommertage vergingen in Zeitlupe. Unbevölkert von Studenten, war der College Hill verschlafen und grün. Leonard bewahrte die Medikamente in seinem Kulturbeutel unter dem Waschbecken im Badezimmer auf. Wenn er sie einnahm, schloss er immer die Tür. Zweimal in der Woche ging er zu seinemTherapeuten, Bryce Ellis, und kehrte von diesen Terminen emotional aufgerieben und erschöpft zurück. Er ließ sich auf die Matratze plumpsen und hing dort weitere ein oder zwei Stunden untätig herum, bis er sich schließlich erhob, um eine Platte aufzulegen.
«Weißt du, wie alt Einstein war, als er seine Relativitätstheorie aufstellte?», fragte er Madeleine eines Tages.
«Wie alt?»
«Sechsundzwanzig.»
«Und?»
«Die meisten Wissenschaftler sind mit Anfang zwanzig auf der Höhe ihres Schaffens. Ich bin zweiundzwanzig, fast dreiundzwanzig. Ich stehe genau jetzt in meiner geistigen Blüte. Nur dass ich jeden Morgen und jeden Abend eine Droge schlucken muss, die mich verblödet.»
«Sie verblödet dich nicht, Leonard.»
«Doch, das tut sie.»
«Es kommt mir nicht sehr wissenschaftlich vor», sagte sie, «zu dekretieren, dass du kein großer Wissenschaftler wirst, weil du mit zweiundzwanzig noch nichts entdeckt hast.»
«So sind nun mal die Fakten», sagte Leonard. «Lass das mit den Drogen ruhig beiseite. Auch sonst befinde ich mich nicht im Entferntesten auf der Flugbahn eines wissenschaftlichen
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