Die Liebeslist
Eine rasche Musterung seiner Leute und ihrer Pferde verriet ihm, dass es keine ernsten Verwundungen gegeben hatte. Insofern konnte er sich voll und ganz um Rosamund kümmern und Hugh das Kommando über den Rückmarsch zur Burg überlassen.
Das Gefühl grenzenloser Erleichterung durchflutete ihn; ihm wurde ganz flau im Magen, und seine Kehle war wie ausgedörrt. Der junge Owen hatte Rosamund geistesgegenwärtig hinter einen Felsvorsprung gezerrt und dort in Deckung gestoßen. Gut möglich, dass sie dem Jungen ihr Leben verdankte. Als Gervase jetzt sah, wie sie sich unverletzt aufrappelte, da verwandelte sich seine Erleichterung schlagartig in unbändige Wut. In unverhohlenem Zorn blaffte er sie barsch an und packte sie an den Schultern, wenngleich sie unter seinem Griff schmerzhaft das Gesicht verzog. „Begreift Ihr jetzt, was Ihr angerichtet habt? Ihr mit Eurem Starrsinn! Ihr musstet ja unbedingt ausreiten. Das Leben meiner Leute habt Ihr dabei aufs Spiel gesetzt, ganz zu schweigen von Eurem eigenen! Alles muss immer nach Eurem Willen gehen, auf alle anderen verschwendet Ihr keinen Gedanken!“ Außerstande, sie loszulassen, hielt er ihre Schulter umfasst, als wolle er sich vergewissern, dass sie noch lebte, dass sie aus Fleisch und Blut bestand.
„Ich …“ Verdutzt starrte sie ihn an, anscheinend ohne jedes Verständnis, was ihn umso mehr in Rage brachte.
„Ich dulde keinen Ungehorsam mehr! Solange Ihr Euch auf Clifford aufhaltet, wird getan, was ich sage!“ Bei genauerer Betrachtung musste Gervase sich trotz allen berechtigten Zorns doch zu seiner Schande eingestehen, dass er auch auf sich selbst wütend war.
Dennoch schien es, als höre Rosamund ihn nicht, zu sehr noch stand sie unter dem Eindruck des eben Erlebten. Ihre Augen blickten glasig; die Haut war wächsern. „Ich … ich habe gar nicht daran gedacht, dass es gefährlich werden könnte …“
„So etwas lässt sich nicht ausschließen!“ Gervases Ärger verrauchte allmählich. „Wir müssen zurück.“ Er stützte sie sacht mit dem Arm.
„Verzeiht, dass ich Eure Männer in Gefahr gebracht habe.“ Ihre Wangen waren trocken, die Augen hingegen tränenfeucht schimmernd, sodass sie recht undamenhaft mit dem Ärmel darüberwischte, was einen schmutzigen Streifen hinterließ. „Geschieht mir recht, dass Ihr mich maßregelt. Das war nicht sonderlich klug von mir.“
„Ach, es ist ja nichts Gravierendes passiert …“
„Nein …“ Sie geriet ins Stocken, fing sich aber gleich wieder. „Nichts passiert … Nur meine arme Stute …“
Gervase geleitete sie zu seinem Pferd, saß auf und bedeutete seinem Knappen, Rosamund behilflich zu sein, damit sie vor ihm auf dem Sattel Platz nehmen konnte. „Anscheinend muss ich schon wieder dafür sorgen, dass Ihr nach Hause gelangt.“ Ein Schnalzen mit der Zunge, und der Hengst verfiel in ruhigen Schritt. „Das dürfen wir aber nicht zur Gewohnheit werden lassen, hm?“ Ein vergeblicher Versuch, sie ein wenig aufzuheitern.
Zitternd barg sie das Gesicht an seiner Schulter und brach in Tränen aus. Dass ihre Stute, von einem Pfeil getroffen, verendet war, ging ihr sichtlich nahe. „Verzeiht …“
„Beruhigt Euch doch. Wenn Ihr möchtet, kriegt Ihr von mir ein neues Pferd.“
Mit der Linken umarmte er sie, mit der Rechten führte er die Zügel. So ritten sie in zügigem Schritt heim zur Burg. Inzwischen kehrten auch seine Männer von der Verfolgung zurück, leider mit leeren Händen. Gervase winkte ihnen zwar zu, hatte indes ganz andere Sorgen. Für ihn stand im Vordergrund, dass er Rosamund unversehrt in den Armen hielt, warm und lebendig, dass er spürte, wir ihr Herz schlug. Wieder im Burghof angelangt, sprang Gervase ab und half Rosamund behutsam vom Pferd. Den Arm um ihre Schulter gelegt, stellte er sich zwischen sie und seine Männer, damit die ihr verweintes Gesicht nicht sahen. Plötzlich bekam ihr Gesicht einen gequälten Ausdruck.
„Seid Ihr verletzt?“
„Sie schüttelte den Kopf. „Nur eine Prellung, glaube ich … ein blauer Fleck …“
Als er ihr den verschmutzten Mantel von der Schulter streifte, gab Rosamund einen Schmerzenslaut von sich. Ohne lange zu überlegen, scheuchte er die besorgt dreinschauende Dienerschaft beiseite, hob Rosamund sanft auf die Arme und trug sie hinüber zum Palas. Auch dort setzte er sie nicht einfach ab, sondern stieg gleich die Treppe hinauf, als wöge die Last überhaupt nichts. Mit der Schulter stieß er die Tür zu ihrer Kemenate auf, wo er
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