Die Liebeslist
zu spüren, wie es in völliger Harmonie mit dem ihren schlug! Wie gern hätte sie … Mit aller Macht musste sie an sich halten, sonst wäre sie sich mit der Zunge über die Lippen gefahren. Ja, alles Mögliche hätte sie gemacht – hätte sie nur gewusst, wie! Hätte sie nur den Mut aufgebracht!
Gerade hob er den Kopf, strich sich mit der Hand durch seinen dunkelhaarigen Schopf. Ein Schauer aus Wassertropfen glitzerte in der Sonne. Plötzlich sah er zu ihr herüber, als spüre er, dass sie ihn beobachtete, als ahne er ihre Hirngespinste. Trotz der Entfernung wurde sie rot bei der Vorstellung, er könne ihre Gedanken lesen. Und genau in dem Moment, als sie den sofortigen Rückzug für das einzig Richtige hielt, da führte er ganz gemächlich einen Becher Ale an die Lippen und schaute ihr, ehe sie sich hastig in die Schatten zurückziehen konnte, direkt in die Augen. Dreist musterte er sie, dann ließ er den Becher sinken und neigte den Kopf – eine feierliche, förmliche kleine Geste, ganz und gar unpassend zu seinem legeren Äußeren.
Rosamund zuckte zusammen, peinlich berührt, dass er sie ertappt hatte. Doch ihre Verlegenheit währte nicht lange. Sollte er sich getrost über sie lustig machen! Sie überwand ihre Befangenheit, raffte ihre mit Staub und Spinnweben bedeckten Röcke und beantwortete seine Verbeugung mit einem formvollendeten Knicks. Und dabei wich sie der unausgesprochenen Aufforderung in seinem Blick nicht ein einziges Mal aus.
Ja, schau nur! Ich bin der Herr im Hause hier! Ich habe dich in den Armen gehalten, dich geküsst! Ich könnte es jederzeit wieder tun!
Ich weiß … ich kann sie nicht vergessen, deine Küsse. Ich träu me davon …
„Was gibt es denn so Spannendes zu sehen, Rose? Besuch?“ Es war die Countess, die, begleitet von ihrer Zofe, aus dem Burgsaal getreten war. Offenbar hatte sie mitbekommen, dass ihre Tochter wie gebannt über den Burghof spähte. „Aha, Besuch nicht.“ Rosamunds Blickrichtung folgend, lachte sie leise. „Ja, da würde ich auch nicht wegschauen, wäre ich um einiges jünger.“ In ihrer gutmütigen Neckerei lag ein wehmütiger Unterton.
Dass die Bemerkung genau ins Schwarze traf, passte Rosamund gar nicht. Mit einem abfälligen Schnauben, die Wangen gerötet, flüchtete sie ins Gebäude hinein. Es ließ sich nicht leugnen: Der Mann ließ sie nicht unbeeindruckt.
Was machte sie denn wohl jetzt schon wieder? Gervase stand oben auf den Zinnen und betrachtete eine Zeichnung des neuen Vorwerks, mit dem er die Burg zu einer der wehrhaftesten Festungen in der ganzen Grenzmark ausbauen wollte, Bastion gegen die ständigen Raubzüge der Waliser über den Wye hinweg. Nun hörte er lauten Streit von den in Fachwerkbauweise errichteten Stallungen. Eine der Stimmen, klangvoll kehlig, doch anscheinend ziemlich gereizt, erkannte er auf Anhieb. Die andere war zwar höflich, doch unwirsch und brummig. Gervase schlenderte hin, gespannt, weswegen die Lady wohl diesmal so in Rage geraten war.
„Ich möchte ausreiten, Sir Thomas! Also, wenn Ihr bitte meine Stute satteln würdet …“
„Gemäß Befehl von Lord Fitz Osbern darf ich Euch nicht ohne Eskorte durchs Tor lassen, Mylady!“
Gervase konnte die beiden Streithähne nicht sehen, doch das war auch nicht nötig, denn die resolute Rosamund war nicht zu überhören. Ihr wachsender Verdruss ebenso wenig. Schmunzelnd verfolgte Gervase den Wortwechsel.
„Aber ich erteile Euch die Anweisung …“
„Entweder mit Eskorte oder gar nicht. Befehl ist Befehl. Zu gefährlich ohne Begleitung.“
„Gefährlich? Wieso?“
„Lord de Mortimer hat berichtet, die hiesigen walisischen Stämme machten mal wieder die Gegend unsicher. Uns wurden schon Überfälle gemeldet …“
Gervase war, als könne er den tiefen, gereizten Seufzer hören. „Dann habe ich wohl keine Wahl.“
„So ist es, Mylady.“
Immer noch heimlich grinsend, begab sich Gervase zu seinem Schildknappen. Nach einer kurzen Unterweisung widmete er sich wieder seiner Zeichnung. Nun wurde Rosamunds Stute gesattelt, und schon ging es in flottem Trab, begleitet von vier Soldaten, durchs Tor und dann am Flussufer entlang. Hinterdrein folgte der Knappe Owen, der sein Pferd zur Eile antreiben musste, um zu dem kleinen Trupp aufzuschließen. Aus Gründen, die ihm selbst schleierhaft waren, kletterte Gervase daraufhin auf den Aussichtsturm über dem Torhaus, von wo aus man den Weg der kleinen Kolonne verfolgen konnte.
Flüchtig – oder besser gesagt, ziemlich
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