Die Liebeslotterie
Gesicht im Blätterwerk der Tausendschönchen zu vergraben. «Dann wollen du und Stopak», sagte er, «es noch einmal miteinander versuchen? Das ist nett. Das ist … na ja, ich freue mich für dich. Ehrlich.»
«Nein, Tibo», sagte sie. «Ich werde Stopak verlassen. Ich habe ihn verlassen. Ich bin gerade dabei. Es gibt einen anderen.»
«Seit gestern? Aber gestern hast du noch gesagt … Gestern hast du mir erzählt … Seit gestern? Einen anderen?»
«So ist es nicht. Ich kenne ihn seit Ewigkeiten.»
«Nach all der Zeit! Nach so vielen Mittagessen!» Plötzlich klang Tibo wütend und verletzt, und das gefiel Agathe überhaupt nicht. Er hatte ein Recht darauf, verletzt zu sein, aber seine Wut nahm Agathe ihm übel.
«Nach welcher Zeit?», höhnte sie. «Nach welchen Mittagessen? Willst du dein Geld zurück?» Sie öffnete ihre Handtasche,kippte sie über den Blumen aus, die ihren Schreibtisch bedeckten, und schwenkte sie wie eine Waffe. «Geht es dir ums Geld?»
«Agathe.»
«Ist es das?»
«Nein, Agathe.»
Sie ließ die Arme sinken und fiel wieder auf den Stuhl. Sie gab sich geschlagen. «Nach all der Zeit … Die ganze Zeit … Nach all den Mittagessen … hast du nicht einmal versucht, mich zu küssen.»
«Ich konnte nicht.»
«Heute hast du mich zum ersten Mal geküsst. Ich habe mich dir angeboten. Ich habe mich nach dir verzehrt, und du hättest mich haben können, ich hätte niemandem ein Sterbenswörtchen verraten, wenn ich nur die Gelegenheit bekommen hätte, ein kleines Stück von dir mein Eigen nennen zu können, aber du hast mich bis heute nicht einmal geküsst.»
«Ich weiß es erst seit heute. Ich habe nichts geahnt. Du hast nie etwas gesagt. Ich weiß es erst seit heute.»
«Oh, Tibo, hör auf. Nicht heute. Heute ist einen Tag zu spät. Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid.»
Tibo verkroch sich wieder ins Blätterwerk. Sie sah seinen Hinterkopf nicken. Hinter den Blättern sah er aus wie ein verwundetes Tier, das man wegen des Dschungels drumherum nur halb erkennt. «Darf ich fragen, um wen es sich handelt?», fragte er.
«Tibo, ist das nicht egal?»
«Ist es ein Geheimnis?»
«Nein, es ist kein Geheimnis. Wir werden zusammenziehen. Du kennst ihn nicht. Er heißt Hektor. Ehrlich gesagt, ist er Stopaks Cousin.»
«Das ist nicht dein Ernst!» Tibo eilte um den Schreibtisch herum, um sich wieder vor sie zu stellen. «Agathe, das kann nicht dein Ernst sein. Hektor Stopak? Natürlich kenne ich ihn. Weißt du, was für ein Mann er ist? Seine Vorstrafenliste ist ellenlang. Er ist ein Taugenichts, ein brutaler Krimineller!»
«Aufhören!» Agathe hob die Hände, als wolle sie einen führerlosen Zug stoppen. «So ist er nicht. Ich kenne ihn besser. Er ist nicht ein Zehntel des Mannes, der du bist, aber er wollte mich, als du mich zurückgewiesen hast. Er war da, als du nicht da warst. Er ist echt, und du warst es nicht, und ihn liebe ich.»
«Um Gottes willen, Agathe!»
«Tibo, kannst du dich bitte für mich freuen? Bitte!»
«Hat er überhaupt Arbeit?»
«Selbstverständlich, und eine Wohnung, und er ist ein großer, großer Künstler.»
«Schön. Dann würde ich ihm gern ein Bild abkaufen. Wohin soll ich gehen? Wo kann ich eins kaufen?»
«Dazu wirst du bald Gelegenheit haben. Alle werden seine Bilder kaufen wollen. Ich werde ihm helfen. Bald wird er weltberühmt sein.»
«Bald. Demnächst. In Kürze. Bloß jetzt noch nicht.»
«Tibo, bitte. Hör bitte damit auf. Bitte, Tibo.»
Tibo schaute aus dem Fenster. «Einen Tag zu spät», sagte er.
«Bitte versteh doch!», rief Agathe.
«Ich verstehe. Glaub mir, ich verstehe. Agathe, es ist mein Schicksal. Ich verstehe. Wer könnte besser verstehen? Ich habe mir immer nur gewünscht, dass du glücklich wirst. Wenn es dich glücklich macht, wird es auch mich glücklich machen. So ist es mit der Liebe, Agathe.»
Danach gab es kaum noch etwas zu sagen. Sie saßen für eine Weile da und weinten still vor sich hin. Schließlich sagte Agathe: «Tibo, du musst mir glauben, dass ich die Wahrheit gesagt habe. Als ich es gestern gesagt habe, habe ich es ehrlich gemeint. Du bist immer noch der Mann, in den ich mich verliebt habe, derselbe wundervolle, gute, freundliche, gewitzte Mann, und ich werde dich immer lieben. Ich werde dich immer, immer lieben.»
«Ach, um Gottes willen», sagte Tibo, «um Gottes willen, Agathe, sei still!» Und dann gelang es ihm, mit schnellen und vorsichtigen Schritten eine Art Tanz aufzuführen,
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