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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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dir überlassen dürfen. Ich hätte es ihm selbst sagen müssen. Es wäre meine Aufgabe gewesen.»
    «Ich war kein Ekel. Hab ja schließlich keinen Grund, ihm Salz in die Wunden zu streuen. Aber in so einem Fall gibt es keinen schonenden Weg, oder? Was sollte ich sagen? Ich habe ihm gesagt, dass du bei mir übernachtet hast und nicht mehr nach Hause kommen wirst. Er ist nicht dumm. Er brauchte kein Diagramm.»
    «War er wütend?»
    «Lass mich überlegen, war er wütend? Nun ja, er hat mirseinen Kaffee ins Gesicht geschüttet und mich in den Bauch geboxt.»
    «Oh nein. Oh Hektor, du hast dich doch nicht etwa geprügelt?»
    «Tut mir leid, er ist ein Schrank von einem Mann. Es hat mich einige Mühen gekostet, ihn zur Räson zu bringen.»
    «Ist er verletzt?» Es fiel Agathe nicht leicht, ihre Loyalitäten zuzuordnen.
    «He, ich bin derjenige, der den Kaffee ins Gesicht bekommen hat! Mir wurde in den Bauch geboxt.»
    Agathe stürzte auf ihn zu und bedeckte sein Gesicht mit kleinen Küssen. «Ja, ja, ich weiß», hauchte sie. «Mein armer Kleiner. Aber was für ein großer, starker Kleiner er ist!»
    Hektor war nicht in Stimmung. Er schob sie mit einer Hand beiseite und packte mit der anderen ihren drallen Arm. «Schon gut, schon gut, ist ja niemand verletzt worden. Die Nachbarn hatten natürlich was zu gucken   …»
    «Oh Gott!»
    «…   und ich bin jetzt arbeitslos, aber das ist mir egal. Auf die Art habe ich wenigstens mehr Zeit zum Malen. Außerdem hast du eine gute Stellung beim Bürgermeister. Davon werden wir eine Weile leben können   …»
    «Aber Hektor   …»
    «Und außerdem» – er küsste sie leidenschaftlich – «sollte ich meine Kräfte sparen, um deinen weiblichen Bedürfnissen nachzukommen.» Mit einem Fuß stieß er die Tür zu und zog Agathe ins Bett.
    So ist es mit Liebenden, anfänglich jedenfalls, und indem Hektor sie daran erinnerte, machte er sie vergessen, dass es mit Stopak damals ähnlich gewesen war. Und während Agathe unter ihm und neben ihm und auf ihm stöhnte, währendsie ihn berührte, während sie flüsterte und schrie, vergaß sie alles andere.
    Sie vergaß ihre Stellung und ihre schreckliche Angst davor, Tibo erneut unter die Augen zu treten, sie vergaß, dass sie wieder zur Arbeit musste, um sich und Hektor zu ernähren, sie vergaß alles außer ihrem Vorsatz, aus Hektor einen großen Künstler zu machen. Sie würde ihn groß machen. Sie würde ihn berühmt machen, und sie würde alles tun, was dazu nötig wäre, sie würde sich aufopfern, ihm den Tisch decken und das Bett wärmen, sie würde für ihn kochen, für ihn arbeiten, sich für ihn ausziehen, für ihn Modell stehen und für ihn liegen, sie würde alles tun, denn sie liebte ihn, und so ist es mit Liebenden nun einmal – anfänglich jedenfalls.

 
    FÜR TIBO war es anders. Er ging von einem Ort zum andern, von seinem Haus ins Büro, vom Bett ins Badezimmer, so, wie die Uhrwerkapostel sich in der Kathedrale bewegten. Er hatte einer Route zu folgen, Arbeit zu erledigen, aber er wusste nicht mehr, warum. Er hatte keine Kontrolle mehr und kein Ziel, er machte einfach immer weiter.
    Nachts war Tibo ein einziger Schrei. Er kam um vier Uhr morgens auf der Treppe zu sich und fragte sich, ob er besonders früh aufgestanden oder auf dem Weg ins Bett wäre. Er aß nicht mehr. Wozu auch? Alles schmeckte nach altem Holz, außerdem würde ihn jeder Bissen, den er aß, an Gerichte erinnern, die er in der Vergangenheit gegessen hatte – Gerichte, die sie gekocht hatte.
    Während der Winter voranschritt, verbrachte Tibo immer mehr Zeit im Freien. Jeden Tag – manchmal sogar zweimal täglich – lief er zum Leuchtturm hinaus, um sich unter den Lichtstrahl zu stellen, der durch die Luft fuhr wie ein Säbel, und sich vom Sturm durchschütteln zu lassen. Weil die Tage kurz waren und es im Büro immer etwas zu tun gab, fand Tibo sich meistens in der Dunkelheit dort wieder, wenn eine unsichtbare See die Felsen zu seinen Füßen umtoste und ihm in der Form von gelbem Schaum heimtückisch entgegensprang, wann immer der Lichtstrahl vorbeikam. Während er dort stand, analysierte und zerfetzte Tibo sich stundenlang. Wieder und wieder pumpte ihm sein gebrochenesHerz die altbekannte Wut, den altbekannten Schmerz durch die Adern. «Wie konnte sie mir so etwas antun, wo sie mich doch liebt? Und sie liebt mich – sie hat es selbst gesagt   –, sie macht sich etwas aus mir. Wie konnte sie mich so verletzen? Sie muss gelogen haben. Sie ist

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