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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Ruhe, nach Wasserdampf und Kaffee, nach Zimt, Mandeln, nach Frieden und Willkommen. Agathe stand unter der polierten Kupferkuppel einer Kaffeekathedrale, in deren Mitte sich die riesige, dampfende Kaffeemaschine mit unzähligen funkelnden Messingrohren erhob und das Aroma in Toccaten ausspie wie eine Orgel.
    Mit einem schweren Seufzer zog Agathe sich die Handschuhe aus. An allen Tischen saßen Gäste, aber die Barhocker am Tresen waren noch frei. Agathe hasste es, dort zu sitzen. Es war alles andere als damenhaft. Wenn sie dort oben saß, hatte sie das Gefühl, von allen angestarrt zu werden. Nicht zu Unrecht, denn sie wurde tatsächlich von allen angestarrt. Von Männern, die nicht anders konnten, und von Frauen, die wussten, dass ihre Männer nicht anders konnten.
    Agathe kletterte auf den letzten Barhocker ganz am hinteren Ende des Tresens. Sie fühlte sich unwohl. Sie musste das Kleid ein kleines Stückchen höher ziehen, als ihr angenehm war. Es spannte sich ein bisschen fester um ihre Hüften, als ihr angenehm war. Die Leute glotzten. Die Männer bemerkten,dass Agathes Strümpfe an der Ferse winzige Falten warfen. Die Frauen bemerkten, dass die Männer es bemerkten.
    Am anderen Ende des Tresens stand Cesare, der Inhaber, still wie eine Statue. Er war ganz in Schwarz, abgesehen von seinem schneeweißen Hemd. Sein schwarzes Haar schimmerte brillantineschwer. Sein akkurater, schmaler Oberlippenbart war kohlrabenschwarz, ebenso wie seine Augen, sein Anzug, seine Krawatte und seine glänzenden Schuhe mit der leicht gebogenen Spitze. Alles schwarz, und das makellos weiße Tuch über seinem Arm verstärkte den Effekt nur noch.
    Er kam herüber, um Agathes Bestellung aufzunehmen, als eine Stimme aus den Tiefen der Kaffeemaschine ihn energisch unterbrach. «Ich übernehme das, Cesare.»
    «Ja, Mamma», antwortete er und stellte sich wieder still ans Tresenende. Cesare war sehr gut im Stillstehen. Er konnte das lange, lange Zeit durchhalten.
    Und da tauchte Mamma Cesare aus der Kaffeeorgel auf. Sie war ziemlich klein und konnte kaum über den Tresen schauen, aber sie war dennoch beeindruckend – ein Miniaturschlachtschiff von einer Frau. Alles, was an Cesare schwarz war, leuchtete an ihr stahlgrau. Ihr Haar war zu einem festen Knoten zurückgebunden und erinnerte in Farbe und Textur an Stahl, ihre krummen Beine steckten in stahlgrauen Wollstrümpfen, und ihre Schuhe, die ursprünglich einmal schwarz waren, hatten sich um mehrere Nuancen aufgehellt, weil Mamma Cesare darin jeden Tag viele Kilometer zwischen den Tischen zurücklegte. Das graue Kleid, das sie am ersten Tag ihres Witwendaseins angelegt hatte, war damals ebenfalls schwarz, aber das lag schon viele Jahrzehnte und zahllose Waschtage zurück.
    Mamma Cesare kam mit wiegenden Hüften hinter dem Tresen hervorgeschaukelt und blieb vor Agathe stehen. Von dort unten aus, fast von den Dielenbrettern aus, die sie an die fünfzig Jahre lang mit ihren eigenen Füßen poliert hatte, warf Mamma Cesare einen Blick zu Agathe hinauf, die unsicher auf dem Barhocker balancierte. Mamma Cesare lächelte wie ein Hai. «Wasse-willse-du?»
    «Einen Kaffee, bitte. Und ein Plunderteilchen.»
    «Nimm den Kaffee. Das Teilchen brauchst du nicht.»
    Agathe wurde ärgerlich. «Ich möchte trotzdem eins. Einen Kaffee und ein Plunderteilchen, bitte.»
    «Nur Kaffee.»
    «Hören Sie, wer ist hier die Kundin? Die Kundin hat immer recht.»
    «Nicht, wenn Sie unrecht hat», sagte Mamma.
    «Behandeln Sie alle Ihre Kunden so?»
    Am Ende des Tresens fing Cesare an, unruhig zu werden. Beinahe hätte er sich sogar geräuspert, aber da hob Mamma die Hand, woraufhin er es gar nicht erst versuchte.
    «Die Kunden, die ich so behandle, sind Kunden, die solche Behandlung brauchen. Du brauchst kein Teilchen. Teilchen machen alt. Lass dich nicht alt machen. Du bist nicht alt.»
    Agathe sackte auf dem Barhocker zusammen. «Also einen Kaffee», sagte sie.
    Der Kaffee dauerte eine Weile. Mamma Cesare musste den ganzen Weg zur Kaffeeorgel zurückschlurfen, Milch in ein winziges Kännchen füllen, ihre Spezialmischung aus schwarzblauen Bohnen mahlen, den Orgelpfeifen dampfende Pfiffe entlocken, Schalter umlegen, Knöpfe drücken und ein cremiges Crescendo anschwellen lassen, das sich schäumend in die Tasse entlud.
    Die Tasse trug sie zu Agathe, streckte sich und stellte sie vorsichtig auf den Tresen.
    «Kaffee», sagte sie, «ohne Plunderteilchen.»
    «Woher wussten Sie?», fragte Agathe.
    «Manchmal weiß ich.

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