Die Liebeslotterie
Manchmal sehe ich. Manchmal erzählen die Leute mir.»
Agathe war peinlich berührt. «Welche Leute? Wer weiß Bescheid? Wer sonst kennt mein Leben?»
Mamma Cesare tätschelte beruhigend Agathes Hand. «Nicht diese Leute. Nur Leute, die ich kenne. Sie kommen her und reden zu mir. Trink deinen Kaffee. Lass uns reden.»
Agathe trank einen Schluck Kaffee und starrte in die Tasse. «Ich weiß nicht, worüber ich reden soll», sagte sie.
«Über ihn vielleicht?» Mamma Cesare nickte Richtung Tür, zu dem großen Mann an dem Stehtisch, der um eine reichverzierte, eiserne Säule herumgebaut war. «Das ist Bürgermeister Tibo Krovic.»
«Ich weiß», sagte Agathe, «ich arbeite für ihn. Haben die Stimmen Ihnen das nicht erzählt?»
Mamma Cesare räusperte sich umständlich und tat so, als habe sie nichts gehört. «Jeden Morgen kommt der gute Bürgermeister Krovic und stellt sich an dieselbe Tisch. Jeden Morgen er bestellt einen starken Wiener Feigenkaffee, trinkt, lutscht Pfefferminzbonbon aus der neuen Tüte, die er jeden Tag mitbringt, und lässt Tüte auf Tisch liegen. Jeden Morgen. Immer dasselbe, zuverlässig wie Rathausuhr. Und warum tut er das? Tut er es, weil er zerstreut und vergesslich ist? Nein! Nicht der gute Bürgermeister Tibo Krovic. Ein Mann kann eine Stadt wie Dot nicht regieren, wenn er zerstreut und vergesslich ist. Er tut es, weil er weiß, wie gern ich mag Pfefferminz. Aber wenn er mir eine ganze Tüte schenken will, ichmuss ablehnen. Auf das höflichste natürlich, aber trotzdem wäre es Affront. Ich würde einen guten Kunden verlieren und er das Café, wo er guten Kaffee trinken kann. Der schlaue, gute Bürgermeister Krovic.»
«Er ist ein sehr netter Mann», sagte Agathe. «Ich arbeite gern für ihn.»
«Ein netter Mann – pah! Iss ein wenig Schokolade.»
Anmutig wählte Agathe ein eckiges Stückchen aus. Sie spürte, wie die Schokolade zwischen ihren Fingern schmolz, und hätte sie am liebsten ganz aufgegessen, aber sie biss das Stück vorsichtig entzwei und legte eine Hälfte auf die Untertasse zurück. Ein paar winzige Krümel blieben an ihrem Lippenstift kleben. Sie entfernte sie mit der Spitze ihrer Rehzunge. Die Männer schauten zu. Es schien Ewigkeiten zu dauern.
«Ich sage nur», fuhr Mamma Cesare fort, «du brauchst einen Mann. Ich weiß, ich weiß – du schaust mich an und denkst, die hat ja keine Ahnung. Aber ich weiß Bescheid. Der da», gestikulierte sie zu Cesare hinüber, der am Ende des Tresens stand wie eine schwarze Statue, «was meinst du, wie ich an den gekommen bin? Ich sage dir, wenn du dir einen Mann suchst, solltest du Sorge tragen, dass es ein guter ist. Einen schlechten kann jede haben. Von den schlechten gibt es eine Menge. Mit den guten ist es schwieriger.»
Agathe musste beinahe lachen. «Bürgermeister Krovic ist mein Vorgesetzter. Er interessiert sich nicht für mich – und ich interessiere mich nicht für ihn. Ich bin eine anständige, verheiratete Frau.»
«Die allein schläft. Korrigiere mich, wenn ich was Falsches sage.»
Agathe schaute wieder in ihre Tasse. «Nein, Sie sagen nichts Falsches.»
«Kaffee, Schokolade. Trink, iss.»
Agathe gehorchte wie ein Schulmädchen.
«Ich sage nicht, springe ins Bett von Tibo Krovic. Aber die Zeit wird kommen, Mädchen, und du könntest es schlechter treffen, viel schlechter. Trinke den Kaffee aus.»
Agathe kippte ihn hinunter und behielt einen schaumigen, weißen Schnurrbart zurück.
«Jetzt drehe die Tasse mit der Untertasse dreimal um und gib sie mir zurück.» Nun war es an Agathe, missbilligend zu schauen. «Sie machen sich über mich lustig», sagte sie. «Sie können meine Zukunft nicht aus einer Kaffeetasse lesen. Niemand liest aus Kaffeetassen. Höchstens aus Teeblättern. Man liest aus Teeblättern.»
«Gib mir einfach die Tasse!», sagte Mamma Cesare. «Teeblätter, Kaffeetassen, ist doch egal. In der alten Heimat war ich strega aus langer Tradition von streghe. Wenn ich sage, ich kann die Zukunft in deinem Badewasser sehen, kannst du misstrauisch sein.» Mamma Cesare hob die Tasse an und untersuchte die milchigen Ablagerungen. «Hm, nichts, genau, wie ich dachte.»
«Sagen Sie so etwas nicht. Irgendeine Zukunft muss ich haben! Sagen Sie nicht ‹nichts›. Sagen Sie, was Sie sehen. Sagen Sie es!»
Ungeduldig stieß Mamma Cesare einen kehligen Laut aus. «Ich sehe eine Reise übers Wasser, um zu finden die Liebe deines Lebens, ich sehe dich heute Abend um zehn Uhr, weil du mit mir reden willst,
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