Die Liebeslotterie
und dunkel wie ich. Wie alle Mädchen aus unserem Dorf. Niemand bekam genug zu essen. Sehr dunkel. Sie hatte einen leichten Schnurrbart.»
Das ist nicht so gut, dachte Agathe. Das darf man unterschlagen – künstlerische Freiheit. Manchmal ist das Kino echter als das echte Leben. ‹Mit Aimee Verking als Cara, die beste Freundin.›
Mamma Cesare sagte: «Stell die Teetasse auf den Kopf, dreh sie dreimal im Kreis und reiche sie mir mit der linken Hand.»
Die Tasse machte ein knirschendes Geräusch, als Agathe sie drehte. «Was passiert jetzt?», fragte sie.
«Nichts. Jetzt passiert lange Zeit nichts.» Mamma Cesare hob die Tasse ab und begann, in den Teeblättern nach einem Bild, nach einer Geschichte zu suchen. «Nichts, was uns nicht längst bekannt wäre. Sieh mal, eine Leiter, dabei wissen wir doch längst, dass Stopak ein Malermeister ist. Der Tropfen dort unten kündigt eine Seereise an.»
«Ach, das. Ein Tropfen bleibt immer übrig. Außerdem haben Sie mir heute Morgen selbst gesagt, ich würde eine Überfahrt machen, um der Liebe meines Lebens zu begegnen.»
Mamma Cesare warf ihr einen aufmunternden Blick zu. «Dann hast du ihn getroffen?»
«Ich bin nicht verreist. Ich war nur bei der Arbeit. Erzählen Sie mir von Cesare und dem Dorf und dem Krieg.»
Mamma Cesare schwieg für eine Weile. Sie hielt die Teetasse schräg, so als wolle sie sie fallen lassen. Ihre kleinen, blitzenden Augen hatten einen flüchtigen Blick in Agathes Zukunft geworfen, um sich dann in einer weitentfernten Vergangenheit zu verlieren. Nach einer Weile sagte sie: «Nichts ist passiert. Wir haben nichts gehört. Natürlich waren wir in großer Sorge, aber der Krieg hielt sich vom Dorf fern. Ganzen Sommer über harrten wir aus. Da alle jungen Männer fort waren, mussten wir auf den Feldern die doppelte Arbeit verrichten, und später, im Winter, wurde es in unseren Betten doppelt so kalt. Der Schnee kam. Er schützte uns. Die Gebirgspässe waren blockiert. Wir sparten Holz, indem wir uns alle um ein einziges Feuer versammelten, Geschichten erzählten und Lieder sangen. Dabei war unser Herz die ganze Zeit draußen bei den jungen Männern, und Cara hing schniefend und schluchzend an meiner Schulter und weinte um Cesare, ach, sie liebte ihn so, Gott solle ihn heimkehren lassen, damit er sie heiraten konnte. Und ich saß da an der glühenden Asche, meine Finger waren blau, und ich schwieg, ich lauschte dem Heulen der Wölfe in den Bergen und hasste Cara insgeheim.»
Agathe stellte sich die Szene vor – eine kleine Hütte, die sich schwarz vom Schneesturm abhebt, das einsame Licht hinter dem kleinen, rechteckigen Fenster, auf das die Kamera zufährt. Wir sehen zwei junge Frauen, in dicke Schals gehüllt,in einer ärmlichen Küche. Aimee Verking in der Rolle von Cara spricht leise und in bewegenden Worten von ihrer Liebe zum heldenhaften Cesare. Tränen steigen ihr in die Augen, und sie lässt ihren Kopf an den Busen der schönen Agathe Stopak sinken, die in den Sturm hinausstarrt. Sie ist so starr wie eine Marmorstatue, so kalt wie der Schnee, in einer mütterlichen Geste legt sie eine Hand auf Caras Haar uuuund … Schnitt!
«Dann es wurde wieder Sommer», erzählte Mamma Cesare, «und das Blatt wendete sich gegen die eine Seite. Auf der Flucht kamen sie durch unser Dorf. Sie waren übel gelaunt und rieten uns zu fliehen. Wir verkündeten, dass wir bleiben würden, und sie sagten, es täte ihnen sehr leid, aber sie müssten die Brücke hinter dem Dorf sprengen. Was sie auch taten. Sie überquerten die Brücke und sprengten sie. Nicht, dass es sich um eine große Brücke gehandelt hätte, außerdem sprengten sie sie nicht besonders gekonnt. Leider hinterließen sie immerhin ein Loch in der Mitte, sodass wir nicht mehr hinüber konnten. Am nächsten Tag rückte die andere Seite an.»
Die Einstellung zeigt eine Nahaufnahme von einem blühenden Baum, zwitschernde Vögel, dann ein Schwenk auf Frauen, Kinder, alte Männer, die auf die Straße laufen, um marschierende Soldaten mit Blumen zu bewerfen.
«Der Anführer von denen sagte, es täte ihm schrecklich leid, aber er müsse die Brücke instandsetzen, was nichts anderes bedeute, als dass er, er entschuldige sich tausendfach, das Haus eines Dorfbewohners abreißen werde, um das Loch in der Brücke zu füllen.
Das ganze Dorf hält den Atem an, aber wir wissen schon, was er sagen wird. Und tatsächlich, der Anführer sagt, ambesten dafür geeignet sei, er entschuldige sich
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