Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
Vom Netzwerk:
Bett zusammen auf einmal bekommt» – sie ließ eine Hand auf Agathes Oberschenkel klatschen   –, «ist es das Beste. Dann spuckt der liebe Gott sich auf den Zeigefinger und reibt an der Fensterscheibe, da, wo die Engel zu putzen vergessen haben, und er sagt: ‹Sieh hin. Sieh nur, was dich erwartet.›»
    «Das ist mir seit langem nicht passiert», sagte Agathe.
    «Mir auch nicht», sagte Mamma Cesare, «aber ich kann mich erinnern.»
    «Ich habe es schon vergessen», sagte Agathe.
    «Ich weiß. Deswegen mache ich mir Sorgen um dich.»
    Der kleine Kupferkessel auf dem Tablett fing zu speien an. Mamma Cesare sprang vom Bett, um sich darum zu kümmern. Sie löffelte Tee aus der bemalten Blechdose, gossWasser darauf, stand über die Kanne gebeugt, rührte und wartete.
    «Warum haben Sie mich heute Morgen angesprochen?», fragte Agathe. «Woher wissen Sie so viel über mich?»
    «Ich bin strega aus langer Tradition von streghe. Es ist nicht schwer. Man sieht einen Verhungernden und weiß: Er will Brot. Er braucht nicht darum zu bitten. Man sieht es sofort. Wenn man dich ansieht, weiß man gleich, wie ausgehungert du bist.»
    «Aber mein Mann kann es nicht sehen.»
    Mamma Cesare schenkte Tee ein. «Vielleicht kann er ausgezeichnet sehen. Ich glaube, vielleicht ist er zu ängstlich, um mit dir zu teilen, was euch gegeben ist. Vielleicht will er dich allein sterben lassen. Das ist sehr schlecht. Bitte.» Mamma Cesare reichte Agathe ein klapperndes Teegedeck. «Trink das, bis auf den letzten Schluck, und sag nichts. Sag kein Wort. Höre nur zu.»
    Agathe löste die gefalteten Finger und nahm den Tee. Mamma Cesare setzte sich wieder neben sie auf das quietschende Bett. Es war wie früher, wenn Agathe neben ihrer Großmutter saß, der Wind in den Kamin fuhr und die Geschichten anfingen. «Es war einmal   …» Agathe nippte vom Tee. Er war heiß. Eine Zitronenscheibe stieß an ihre Lippe.
    Mamma Cesare erzählte: «Vor langer, langer Zeit gab es in der alten Heimat einen Krieg.»
    Agathe wollte gerade fragen: «Welchen Krieg?», aber Mamma Cesare brachte sie mit einer Augenbraue zum Schweigen. «Ich habe dir befohlen zu schweigen. Und es ist egal, um welchen Krieg es geht. Für Leute wie uns zählt das nie. Generäle und Könige und Präsidenten haben verschiedene Kriege, aber für uns, für die kleinen Leute, gibt es immernur den einen Krieg. Wie dem auch sei, du musst diese Erfahrung hoffentlich nie machen.»
    Mamma Cesare beugte sich hinüber, um einen prüfenden Blick in Agathes Teetasse zu werfen. «Ausgetrunken? Schweig!»
    Agathe hielt die Tasse schräg, um Mamma Cesare hineinschauen zu lassen. Sie hatte einen kleinen Schluck übrig gelassen.
    «Nimm die Zitrone heraus. Leg sie auf die Untertasse. Trink den letzten Schluck. Also koche ich Suppe. Und als ich am nächsten Tag zum Brunnen gehe, höre ich, dass Cesare in den Kampf gezogen ist.»
    Agathe leerte die Tasse in einem Zug und setzte sie entschlossen auf die Untertasse zurück.
    «Ausgetrunken?»
    «Er muss schreckliche Angst gehabt haben», sagte Agathe.
    «Ich dachte, mir bricht es das Herz», sagte Mamma Cesare, «und das Schlimmste ist, dass ich niemandem davon erzählen darf, weil Cesare nicht mir gehört. Cesare wird meine beste Freundin heiraten.»
    «Ihre beste Freundin!» Agathe schnappte vor Aufregung nach Luft. Das war nicht weniger spannend als alles, was man im Palazz Kinema auf der Georgenstraße geboten bekam – nein, es war noch besser! Diese Geschichte von Liebe und Krieg war real. Agathe stellte sich vor, wie sie im Kinosessel saß, eine Tüte Bonbons auf dem Schoß, ergreifende Blechbläser, ein Trommelwirbel, sie hebt den Kopf und sieht das flackernde Rechteck blauen Lichts aus dem Vorführraum, den aufsteigenden, sich kräuselnden Zigarettenqualm, und dann läuft der Vorspann über die Leinwand: «Krieg und Frieden. Mit   …» Wer sollte mitspielen? Ja, «Horace Dukas als Cesareund (säuselnde Violinen) Agathe Stopak als Mamma». Daran müsste sie noch ein wenig arbeiten. Man bräuchte einen besseren Namen. Und eine beste Freundin – man bräuchte eine beste Freundin.
    Und Cesare bräuchte einen besten Freund, mit dem er mitten in der Nacht das Dorf verlässt, um in den Krieg zu ziehen.
    Hier steht er dann also, Horace Dukas, unter dem Vollmond. Wolken jagen über den Himmel.
    «Ihre beste Freundin   … wie hieß sie?»
    «Cara.»
    «Ein hübscher Name.»
    «Ein hübsches Mädchen!»
    «War sie groß und blond?»
    «Sie war klein

Weitere Kostenlose Bücher