Die Liebeslotterie
nichts.› So war das.»
«So war das? So? Das kann doch nicht sein. Woher konnten Sie wissen, dass er das Dorf wieder verlassen würde? Er war gerade aus dem Krieg in die Arme der Frau, die er liebte, zurückgekehrt – warum schmeißt er das alles plötzlich hin? Das ist doch nicht normal.»
Mamma Cesare schüttelte den Kopf. «Ich wusste, er würde nicht bleiben. Nicht, nachdem er das Schild entdeckt, das ich in die Ruine seines Hauses gestellt hatte: ‹Dies ist Caras Werk›, in großen, weißen Buchstaben. Wahrscheinlich haben sie geleuchtet im Mondlicht.»
Agathe fiel die Kinnlade herunter. Sie wusste nicht, ob sie diese Frau, die dem geliebten Mann so entschieden nachgestellt hatte, fürchten oder bewundern sollte. Sie flüsterte: «Dann hat Cara einen anderen geheiratet?»
«Welchen anderen?», fragte Mamma Cesare. «Es waren keine anderen heimgekehrt. Das Dorf lag im Sterben, und der Beerdigung wollte ich keinesfalls beiwohnen. Cesare und ich machten uns auf nach Amerika.»
«Aber am Ende hat es Sie nach Dot verschlagen.»
«Das ist eine lange Geschichte. Plötzlich fühle ich mich sehr müde. Was ich dir zeigen will, muss warten. Wirst du an einem anderen Abend wiederkommen?»
Agathe sagte, ja, natürlich, Mamma Cesare solle sich jetzt ausruhen; und während sie unsicheren Schritts durch den Flur zum Straßeneingang zurücktapsten, bedankte sie sich für den Tee, für die Geschichte von Cesare und, natürlich, fürs Wahrsagen.
«Oh, das hatte ich ganz vergessen», sagte Mamma Cesare. «Sag, wer ist Achilles?»
«Ich kenne keinen Achilles», sagte Agathe. «Ich kenne einen Hektor, den ich nicht besonders mag.»
«Der Teesatz sagt, du bist einem Achilles begegnet. Vielleicht sogar heute. Ich irre mich nie. Ich bin eine strega mit langer Tradition von streghe. Du kennst Achilles. Er ist dein Freund.»
Agathe sagte: «Ich werde es nicht vergessen. Gute Nacht.» Sie zog die Tür hinter sich zu und trat auf die Schlossstraße hinaus. Hoch oben auf dem Hügel schlugen die Glocken der Kathedrale Mitternacht. Und wenige Augenblicke später, exakt so viel später, wie der Schall in einer klaren Sommernacht auf seinem Weg durch die Stadt Dot braucht, erhoben sichder Fahrer und der Schaffner der letzten Tram, die an diesem Abend fahren sollte, von ihren Plätzen auf der Hintertreppe, schnipsten ihre Zigarette in einem Sternschnuppenbogen weg, verschraubten ihre Kaffeethermoskannen und holten die Trambahn aus dem Depot. Sie durchquerte die Stadt, vorbei am verdunkelten Opernhaus, wo die laufende Rigoletto-Inszenierung bei Publikum und Kritikern gleichermaßen durchgefallen war, über den Museumsplatz und durch die Georgenstraße, wo der Inhaber des Palazz Kinemas wie an jedem Abend auf die Mitfahrgelegenheit nach Hause wartete; dann ging es in gemächlichem Kleiderhakenbogen zurück an die Stelle, wo die Kirchenallee in die Schlossstraße mündet und wo Agathe schon im gelben Straßenlaternenlicht an der Haltestelle wartete. Sie setzte sich ganz hinten in die Tram. Den Inhaber des Palazz Kinemas, der eine Haltestelle vor ihr ausstieg, erkannte sie nicht. Als er an ihr vorbeiging, hielt sie den Blick keusch zu Boden gerichtet, und sie erhob sich von ihrem Platz, sobald die Tram wieder angeruckelt war. Sie hielt sich an der Stange am hinteren Ende fest, während die Bahn den Ampersand überquerte.
Auf der anderen Seite der Grünen Brücke, während die Tram davonzuckelte, blieb Agathe für einen Augenblick stehen, um die Stille zu genießen, das Rauschen des Wassers unter den Brückenbögen, die sirrenden Flügelschläge der beiden Enten, die zwischen den Straßenlaternen hindurchflogen, die beruhigende Dunkelheit im Gasthaus zu den Drei Kronen, das ferne, immer leiser werdende Scheppern der Tram, die inzwischen außer Sichtweite war, ihre Zeichen aber immer noch durch die jammernden Überleitungskabel und bebenden Gleise zurückfunkte. Agathe stieg die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf, schlich ins Schlafzimmer, warf ihre Kleiderab wie eine Nymphe, die im Mondlicht badet, und schlüpfte traurig zu dem schnarchenden Stopak ins Bett.
Bevor der Schlaf sie überkam, krallte sich der kleine Kater in die Laken, kletterte schnurrend zu ihr hinauf und vergrub seinen Kopf schnurrend unter ihrer Hand. «Gute Nacht, Achilles», sagte Agathe und schlief ein.
AM NÄCHSTEN TAG hatte es Tibos Fehde mit dem Bürgermeister von Umlaut auf die Titelseite der Morgenpost geschafft. Als Tibo sich dem Kiosk an der Ecke
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