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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Wasser», sagte er. Danach lief es besser.
    Sie unterhielten sich über alles Mögliche, wobei sie mit dem Ausbruch der Läuseplage in der Mädchenschule anfingen. «Man sagt, diese kleinen Quälgeister fühlen sich auf gewaschenen Köpfen am wohlsten, aber das stimmt nicht. Es nimmt immer mit einem ungewaschenen Kopf seinen Anfang. Neulich war ich in der Apotheke und habe erfahren, dass es in ganz Dot kein einziges Döschen mit Läusepuder mehr gibt. Allein bei dem Gedanken fängt es bei mir zu jucken an.»
    Tibo versprach, das Gesundheitsamt zu kontaktieren und Abhilfe zu schaffen.
    Dann wandten sie sich der skandalösen Vorstellung des Hypnotiseurs zu, der am letzten Wochenende im Opernhaus von Dot aufgetreten war. «Eigentlich bin ich nicht prüde», sagte Agathe.
    «Ich auch nicht», sagte Tibo.
    Oh, wie gut, dachte sie, wie gut! Aber sie sagte: «Und ich habe wirklich Sinn für Humor. Aber haben Sie gehört, was er auf der Bühne mit der armen Frau Bekker gemacht hat?»
    «Ja, habe ich.» Tibo nickte ernst.
    «Die arme Frau unterrichtet an unserer Akademie Latein. Wie soll sie nach so einem Vorfall noch erhobenen Hauptes durch die Gegend gehen? Wie soll sie für Ruhe im Klassenraum sorgen, wenn die halbe Stadt ihren Schlüpfer gesehen hat? Ich habe gehört   …» – Agathe warf einen Blick über dieSchulter, um zu sehen, ob irgendwer lauschte   –, «ich habe gehört, die Vergabestelle für Schanklizenzen habe eingreifen wollen, aber dann seien Schmiergelder geflossen. Das Opernhaus ist jeden Abend ausverkauft!»
    Tibos Gesicht verdüsterte sich. «Das ist hoffentlich nur ein Gerücht. Jeder im Rathaus weiß, dass das für mich ein Entlassungsgrund wäre. Wissen Sie, wir sind hier nicht in Umlaut!»
    Der Kellner kam zurück und lungerte grinsend am Tisch herum. «Möchten Sie bestellen?»
    Sie hielten die Speisekarten unaufgeschlagen in der Hand und saßen weit vornübergebeugt. Für Läuse die reinste Einladung! Sie sahen einander an und brachen aus irgendeinem Grund in Gelächter aus.
    «Tut mir leid», sagte Tibo, «aber wir haben uns noch nicht entschieden. Was ist heute zu empfehlen?»
    «Alles, und zwar jeden Tag, der Herr», sagte der Kellner.
    Tibo fragte sich, warum sich an der Stirn des Mannes noch keine Beulen gebildet hatten vom ständigen Augenbrauenhochziehen. «Nun ja, und was ist heute besonders zu empfehlen?»
    Mit Expertengeste sammelte der Kellner die Speisekarten wieder ein. «Die Seezunge ist heute Morgen frisch vom Anleger gekommen, mein Herr. Ich habe sie persönlich ausgewählt, jawohl, sie hat noch gezappelt. Und dazu sollten der Herr einen Chablis bestellen.»
    «Tja, wieso nicht?», sagte Tibo. «So jung kommen wir nie wieder zusammen.»
    Agathe starrte ihn in gespieltem Entsetzen an und schlug sich eine Hand an die Brust, als werde sie gleich ohnmächtig.
    «Nicht aufregen», grinste Tibo, «das mit dem Chef werde ich schon regeln.»
    Der Kellner brachte ihnen einen Brotkorb. Sie aßen das Brot und tranken Wein dazu.
    Das Essen wurde serviert – zarter, weicher, köstlicher Fisch und knackiges Gemüse. Sie aßen. Sie tranken ein zweites Glas Wein. Er kribbelte erfrischend auf der Zunge, er munterte und päppelte sie auf. Sie hatten viel zu lachen.
    Und dann, beim Kaffee, erzählte Agathe Tibo von Sarah, dem hübschen Mädchen, das beim zweitbesten Metzger der Stadt hinter einer Glasscheibe an der Kasse sitzt. «Sie hatte Pech in der Liebe», sagte Agathe.
    «Sarah?», fragte der gute Bürgermeister Krovic.
    «Sarah», sagte Agathe. «Am Samstag war ich dort, sie sah aus wie der Tod auf Latschen, und ich sagte zu ihr: ‹Meine Liebe, geht es Ihnen nicht gut?›, und sie antwortete: ‹Mir geht es schlecht – ich habe kein Auge zugetan wegen meines gebrochenen Herzens, und Sie haben es als Einzige bemerkt. Ich danke Ihnen.› Und dann hat sie mir mein Wechselgeld gegeben.»
    «Sarah?», fragte Tibo verwundert. «Ich war am Samstag dort, um ein halbes Kilo Wurst zu kaufen. Mir ist nichts aufgefallen.»
    «Mir schon», seufzte Agathe, «ich kenne die Symptome.»
    Als sie diesen Satz aussprach – «ich kenne die Symptome»   –, kam die bedrückende Traurigkeit, die zusammen mit ihrer Brotdose in den Brunnen gerutscht war, durch die Schlossstraße gerauscht, zwängte sich ins Restaurant und nahm neben Agathe Platz. «Ich kenne die Symptome» – welches Geständnis! Es war das Eingeständnis eines gebrochenen Herzens, ein Schadensbericht, aber noch keine Kapitulation.
    Tibo

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