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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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die Schlossstraße liefen – zu eng wahrscheinlich. Einen kurzen Moment lang musste sie sich fragen: «Wenn Stopak dich zum Mittagessen eingeladen hätte, würdest du dann so mit ihm gehen?» Aber eine kleine Stimme in ihrem Kopf antwortete augenblicklich, so als habe sie nur auf die Frage gewartet: «Wenn Stopak dich zum Mittagessen eingeladen hätte, würdest du dann mit dem Bürgermeister gehen?»
    Sie gingen Seite an Seite, über den Platz und die Weiße Brücke und die Schlossstraße hinauf, und Agathe wiegte sich in den Hüften und machte lange, ausladende Schritte. Köstlich wackelte sie neben ihm her in ihrem dünnen, weißen, mit schwarzen Punkten bedruckten Kleid, und ein feiner Duft entstieg ihrem Dekolleté, während ihr Haar Tibos Kinn kitzelte. Beim Gehen wackelte sie übermäßig mit dem Hintern,und nur ihr empörtes Gewissen – «Agathe Stopak, hör sofort auf damit! Du bist eine ehrbare, verheiratete Frau!» – hielt sie davon ab, zu schnurren und sich an Tibo zu reiben wie eine Katze am Tischbein. Sie spürte, wie ihre Frisur beim Gehen an Tibos Kinn stieß. Sie fragte sich, ob er wohl in ihren Ausschnitt schielte. Und sie merkte, dass es ihr gar nichts ausgemacht hätte. Sie wollte, dass er ihr in den Ausschnitt schielte. Tatsächlich wäre sie regelrecht beleidigt, wenn er es unterließe. Sie schaute kurz nach oben in der Hoffnung, ihn beim Hinsehen zu erwischen, und hochzufrieden schlug sie die Augen wieder nieder.
    Die schweren Schnörkeltüren des Goldenen Engel fielen hinter ihnen zu, und jetzt spürte Frau Stopak einen Hauch von Panik. Wären sie in einem Film von Stanley Korek, würde der Pianist in diesem Augenblick sein Spiel unterbrechen, Stille würde sich über den Raum legen, und alle Anwesenden würden sie anstarren. Aber in einem so ehrwürdigen Lokal wie dem Goldenen Engel kommt so etwas nicht vor. Nicht einmal einen Pianisten gibt es dort, und falls sich ein so geschätzter und allseits geachteter Mann wie Bürgermeister Tibo Krovic dazu entschließt, das Etablissement zur Mittagszeit mit seinem Besuch zu beehren – egal, in wessen Begleitung   –, kann er sich eines tadellosen Service sicher sein.
    Cesare ragte hinter dem Tresen in die Höhe wie eine Statue aus Obsidian – schwarzer Anzug, schwarze Krawatte, brombeerschwarzes, pomadiertes Haar, sorgfältig gekämmte Augenbrauen, die sich unterhalb der Nase in einem schwarzblauen Schnurrbart spiegelten. Aber für den klitzekleinen Bruchteil eines Moments hatte er doch die Kontrolle über seine eiserne Miene verloren. Agathe hatte es gesehen. Sie hatte es sofort bemerkt, als sie zur Tür hereinkamen – diewinzige Regung in seinem Gesicht, das mikroskopisch kleine Hochziehen der Augenbrauen, das kaum merkliche Zucken der Oberlippe, ein Blitzen in seinen Augen, das sagte: «Mamma Mia, da ist ja schon wieder der Bürgermeister, zum zweiten Mal an einem Tag, und auch noch in Begleitung einer Dame. Unglaublich. Unfassbar!» Und dann kriegte er sich wieder ein, schickte ihnen einen Kellner entgegen und begrüßte sie mit nichts als einem flüchtigen Blick.
    «Für zwei, mein Herr?», katzbuckelte der Ober und versuchte, sie in eine dunkle Nische am hintersten Ende des Lokals zu verfrachten.
    «Ich würde lieber am Fenster sitzen, bitte», sagte Tibo und fügte hinzu: «Falls es Ihnen recht ist.» Bei diesen Worten drehte er sich mit einem fragenden Lächeln zu Agathe um, die nickte.
    Ein Fensterplatz – vor den Augen von ganz Dot. Also wirklich, was sollte daran noch verfänglich sein?
    Der Tisch war für vier gedeckt. Während Tibo und Agathe es sich bequem machten, räumte der Kellner die überflüssigen Gedecke weg.
    «Meine Dame, mein Herr – die Speisekarte. Mein Herr, die Weinkarte. Ich werde Ihnen Wasser bringen.» Der Kellner zog sich zurück.
    Plötzlich fühlten sie sich befangen. Agathe fragte: «Möchten Sie lieber auf meinem Stuhl sitzen, damit Sie nach draußen sehen können?»
    «Nein», sagte Tibo, «ich sehe lieber Sie an.»
    Agathe starrte auf ihre verschlungenen Finger und rang den Impuls nieder, nervös mit der Serviette zu spielen.
    «Möchten Sie etwas trinken?», fragte Tibo und schlug die cremefarbene Mappe auf, in der die Weinkarte steckte.
    «Lieber nicht. Was wird der Chef sagen, wenn wir beschwipst ins Büro zurückkommen?»
    Diese Äußerung war so dumm, der Witz war so lahm, und Agathe sah so keck und mädchenhaft aus dabei, dass Tibo nicht anders konnte, als zu lachen.
    «Dann bleiben wir beim

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