Die Liebeslotterie
Krawatten sie umstanden wie Schaulustige einen Verkehrsunfall, erkannte er, dass sie immer schon die Richtige gewesen war. Aber sie war Frau Agathe Stopak, und obwohl sie ihn zu Kupfer & Kemenazic begleitet hatte, würde sie ihn nachher wieder verlassen. Sie würde ihn an der nächsten Haltestelle verlassen, um in die Aleksanderstraße und zu Stopak, dem Anstreicher, zurückzufahren. Tibo sah es so deutlich vor sich, als betrachte er Dot von der Spitze meiner Kathedrale aus. Er sah es und sagte: «Was meinst du?»
«Oh, ich finde ihn wunderbar. Sehr schick.» Sie drehte sich zu Kemenazic um. «Haben Sie den auch in Schwarz?»
«Ja, die Dame.»
«Genau gleich?»
Kemenazic reagierte mit eisiger Höflichkeit. «Genau gleich, die Dame. In jeder Hinsicht. Genau gleich.»
Agathe lächelte triumphierend. «Dann, denke ich», sagte sie und tauschte einen raschen Blick mit Tibo, «nehmen wir den. Und den schwarzen. Würden Sie bitte beide Anzüge einpacken? Und die Kleiderbügel auch, bitte.»
Kemenazic verbeugte sich knapp – so wie Yemko im Buchladen, wie, um dem würdigen Gegner seinen Respekt zu zollen –, dann zog er sich zurück.
An der Kasse wurde es nur noch ein einziges, kurzes Mal unangenehm – das Einzelhandelsäquivalent zum Zahnarztbesuch, wo man nach dem Zahnziehen auf einen Wattebausch beißen muss. Tibo öffnete auf dem zerkratzten Glastresen, in dem endlose Reihen weißer Unterhemden lagen, sein Scheckheft und trug einen lächerlich hohen Betrag ein. Dann nahm er zwei große, prallgefüllte Papiertüten in Empfang, auf die der Schriftzug «Kupfer & Kemenazic» in rostroten Lettern diagonal aufgedruckt war.
Kemenazic eilte von der Kasse an die Tür und stand wie ein halbgeschlossenes Klappmesser da, als sie hinausgingen.
«Die Anzüge sind einfach wunderbar», hauchte Agathe.
«Vielen Dank, die Dame. Vielen Dank. Sie werden jahrelang Freude daran haben, das garantieren wir.»
«Sie sind so wunderbar», fügte Agathe hinzu, «dass der Herr Bürgermeister gar keine maßgeschneiderten Anzüge mehr braucht. Trotzdem vielen Dank für Ihre Mühe.»
Die Tür schloss sich hinter ihnen so fest, dass selbst die wächserne Schaufensterpuppe ins Wanken zu geraten und gegen die Fensterscheibe zu stupsen schien, so als wage sie einen ersten, zaghaften Ausbruchsversuch.
Tibo grinste. «Du bist ja so gewieft! Vielen Dank.» Er drehte sich um und sah Kemenazic, der hinter der braunen Leinenjalousie stand und ihnen wütend nachblickte. Augenblicklich rutschte die Jalousie wieder an ihren Platz. «Komm», sagte Tibo, «bevor man die Hunde auf uns hetzt.»
Mit einer dem Bürgermeister von Dot würdigen Geste bot er Agathe seinen Arm, und mit einer der Richtigen würdigen Geste nahm Agathe ihn mit beiden Händen an und legte ihre Wange an Tibos Schulter.
Sie liefen am Kooperativ-Schuhgeschäft vorbei und immer auf den Kommerzplatz zu, als Tibo plötzlich ein Taxi auffiel, das langsam auf sie zugerollt kam. Es hatte schwer Schlagseite, wie ein Schiff, das in den Fängen eines Orkans das Kap Horn umsegelt, und drinnen saß, eine Hand fest an den Lederriemen geklammert, der hinter der Heckscheibe baumelte, der Anwalt Yemko Guillaume. Als der Wagen vorbeiächzte, drehte Yemko langsam den Kopf wie eine Schildkröte, die gleichgültig einem vorbeitreibenden Baumstamm nachblickt. Er lächelte nicht. Er nickte nicht. Er winkte nicht. Yemkozeigte mit keiner Geste, dass er Tibo erkannt hatte. Dabei hatte er ihn erkannt. Im nächsten Augenblick war das Taxi vorbei, und Tibo blieb stehen, um dem Wagen und Yemkos Hinterkopf nachzuschauen. Der Anwalt sah starr geradeaus durch die Windschutzscheibe.
Als Tibo an jenem Abend allein in seinem Haus am Ende des blaugekachelten Pfades saß und ins Kaminfeuer starrte, sah er sich selbst, wie er mitten auf der Albrechtstraße erstarrte und gefror. Er sah, wie er sich aufrichtete, seine Wange von Agathes Scheitel zurückzog und auf einen Schlag förmlich und korrekt wurde. Als sie sich der Haltestelle der Tram zur Aleksanderstraße näherten, fragte er in der Haltung eines Postbeamten, der ein Paket loswerden und eine Unterschrift einfordern muss: «Das ist doch deine Haltestelle, oder?»
Tibo wiederholte den Satz pausenlos, während er mit dem Feuerhaken in der Glut herumstocherte. «Das ist doch deine Haltestelle, oder? Das ist doch deine Haltestelle, oder?», verspottete er sich selbst. «Du hättest sie nicht auf ein Getränk einladen können, was? Auf einen Kaffee. Du hättest
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