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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Verkäuferin zu sich rufen und sagen: «Größe achtunddreißigeinhalb. Wir nehmen ein Paar von jeder Sorte. Nein, zwei von jeder Sorte! Ich meine natürlich, zwei Paar!» Er wollte sagen: «Agathe, nimm dieses Paar Stiefel mit Pelzfütterung, du kannst es im Winter tragen und musst nie wieder mit kalten Zehen zur Arbeit kommen. Und dieses Paar hochhackiger, glitzernder Sandaletten, das du tragenkannst, wenn wir tanzen gehen. Und sieh dir dieses Paar an! Und dieses! Und dazu nehmen wir die jeweils passenden Handtaschen.»
    Er sagte: «Hallo, Agathe.»
    Agathe hob den Kopf, erfreut und entzückt und überrascht, ihn zu sehen. Mit halberhobener Hand trat sie einen Schritt vor, um ihn zu begrüßen, dann hielt sie plötzlich inne und sagte: «Oh, Tibo. Hallo!» Ihre Hand stieg weiter in die Höhe, um schließlich ihre Lippen zu berühren.
    «Suchst du nach neuen Schuhen?», fragte er unbeholfen.
    «Nein, eigentlich nicht.» Agathe zeigte durch die Scheibe auf ein Paar Winterstiefel. «Ich habe mir die dort angesehen. Bald wird es schneien. Was meinst du?»
    «Schlag zu», sagte Tibo, «gönn dir etwas.»
    «Vielleicht sollte ich das wirklich, nach dem nächsten Zahltag, aber der Preis ist schrecklich hoch. Immerhin habe ich noch ein Paar Galoschen, die sind vollkommen in Ordnung   …»
    «Aber in denen bekommst du kalte Zehen», sagte Tibo.
    «Oh ja, das stimmt. Kennst du das? Und wenn ich einmal kalte Füße habe, dauert es ewig, bis sie wieder warm sind.»
    Auf einmal war Tibo mutig genug zu sagen: «Du kannst deine Füße immer gern an mir aufwärmen.»
    Aber Agathe redete einfach weiter. Sie sagte: «Weißt du, ich wette, in ganz Dalmatien gibt es keinen einzigen Laden, der Galoschen oder Winterstiefel führt. In Dalmatien haben alle warme Füße. Verzeihung, was wolltest du sagen?»
    Lächelnd sagte Tibo: «Nichts.»
    Der Verkehr rollte durch die Albrechtstraße, überladene Trambahnen ratterten vorbei, ein paar Autos und ein alter, grauer Lastwagen mit einem Berg von Schlachtabfällen, derauf dem Weg zur Düngerfabrik war und aus dem Knochenenden und Fleischstücke herausragten. Hoch über alledem, ganz oben auf Dachhöhe, wo die Wohnungen eng und billig und die Ringelblumen vor den Fenstern mit Ruß überzogen waren, flatterten kleine Vögel vorbei, schwarze, zwitschernde Pünktchen am Himmel. Niemand hörte sie. Und am Eingang zu der kleinen Gasse, wo ein goldgelber Löwenzahn sternförmig explodiert war und den ganzen Sommer über papierweiße Pompons in die Luft geschickt hatte wie bei einem besonders ausgedehnten Feuerwerk, lief eine blauäugige Katze vorbei. Niemand sah sie. Aber später, in der Erinnerung, fand Tibo alles in sein Gedächtnis eingraviert wieder, die schwefelgelben Blumen und die gepflegte Katze mit dem Halsband und der kleinen Schelle, deren Läuten nur zeitweilig vom Gesang der Vögel übertönt wurde.
    «Warum bist du hier?», fragte Agathe.
    Es klang wie eine Ouvertüre, und die Antwort hätte heißen müssen: «Um dich kennenzulernen und für immer zu genießen.» Aber Tibo sagte: «Ich bin in die Stadt gefahren, um mir einen neuen Anzug zu kaufen.»
    «Oh, ich erinnere mich. Darf ich mitkommen?», fragte Agathe in dem Ton, in dem sie ihm üblicherweise eine weitere Tasse Kaffee anbot. «Darf ich mitkommen?», um einer intimen Demütigung beizuwohnen; genauso gut hätte sie ihn zum Arzt begleiten und zuschauen können, wie ihm die Ohren ausgespült oder die Hühneraugen ausgestochen wurden.
    «Darf ich mitkommen?»
    «Ja, natürlich», sagte Tibo, «natürlich.» Er bot ihr seinen Arm an.

 
    DER EINGANG zu Kupfer & Kemenazic lag nur zwei Hauseingänge entfernt – eine verglaste Tür mit brauner Leinenjalousie und ein einziges, breites Schaufenster mit einer schnauzbärtigen Schaufensterpuppe, die reglos wie ein Soldat immer am selben Platz stand und seit ihrem Wachantritt vor fünfzig Jahren weder Haltung noch Frisur je verändert hatte, nicht im Sommer, wenn die Sonne erbarmungslos ins Schaufenster brannte und den wächsernen Schnurrbart zu schmelzen drohte, und auch nicht im Winter, wenn sie die Demütigung ertragen musste, vor den Augen der ganzen Albrechtstraße die neuesten langen Unterhosen zur Schau zu stellen. Gleichmütig und verlässlich stand die Puppe alles durch, sie verkörperte jene Art von Service, den der geneigte Kunde bei Kupfer & Kemenazic erwarten konnte.
    «Unerschütterlich», murmelte Tibo, als er Agathe unter dem strengen Blick der Schaufensterpuppe die Tür

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