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Die Liebesluege

Titel: Die Liebesluege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sissi Flegel
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the night. «
    Poldy warf ihm einen bösen Blick zu. »Und wer, bitte schön, seid ihr?«
    »Wir sind die Neuen«, antwortete Charly selbstbewusst. »Kalt habt ihr’s hier.«
    »Soso. Ihr seid also die Neuen«, wiederholte Poldy und deutete zuerst auf die durchgesessenen Sessel vorm Feuer, sagte: »Hier ist’s warm«, dann streckte er Charly seine Hand
entgegen. »Leopold, mein Name ist Leopold. Ich gehe in die Zwölfte. Der Byron-Verehrer am Fenster ist mein Freund, Zimmergenosse und Klassenkamerad, heißt George Gordon und wähnt, zusammen mit den Vornamen auch mit dem Genie seines Dichter-Idols gesegnet zu sein. Gefangen in diesem Irrtum hält er das Andenken seines Angebetenen durch fortwährendes Zitieren und Deklamieren am Leben. Eine elende Sisyphusarbeit natürlich, und wie eine solche zum Scheitern verurteilt. Aber mache einer ihm das klar!« Er breitete die Arme in einer hilflosen Geste aus. »Und wer bist du?«
    »Das ist meine Freundin, Zimmergenossin und Klassenkameradin Elena«, antwortete Charly rasch. »Wir haben uns vor -« Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »- vor ungefähr drei Stunden kennengelernt.«
    »Und ihr seid schon Freundinnen geworden?«, erkundigte sich George Gordon und ließ sich in einen Sessel fallen. »In nur drei Stunden? Ich nenne das eine voreilige Gefühlsbekundung.«
    »Es war Liebe auf den ersten Blick.« Charly lächelte ihn an und hustete leicht. »Ein Junge wird das nicht verstehen.«
    »Oho!« Poldy grinste. »Mit dieser Aussage hast du Gordon tief getroffen; er ist nämlich unser Sensibelchen. Und du?«, wandte er sich an Elena. »Bist du stumm?«
    Elena schüttelte den Kopf. »Es sind so viele neue Eindrücke, und alles ist anders. Ich bring das nicht so schnell auf die Reihe.«
    »Verstehe. Hast du eine Freistelle bekommen?«
    Elena zog ihren formlosen grauen Pulli nach unten.
    »Quatsch. Elena hat einen schwierigen Vater. Aber ich sorg schon dafür, dass sie sich dem hiesigen Standard anpasst«, erklärte Charly.

    Elena ließ ihre Augen von einem Jungen zum anderen wandern. Poldy war mehr als einen Kopf größer als sie, etwas dicklich, rothaarig und schien freundlich und umgänglich zu sein. Sein Freund George Gordon dagegen, hochgewachsen und schlank, sah in seinen anthrazitfarbenen Jeans und dem schwarzen Rollkragenpulli so aus, wie man sich einen jungen Poet vorstellt: dünn, mit schmalem Gesicht, wilden schwarzen, etwas zu langen Locken, mit dunklen träumerischen Augen und einer blassen Hautfarbe. Wie hatte Poldy Gordon genannt? Gordy. Gordy und Poldy, die Freunde aus der Zwölften. Wer war eigentlich dieser Byron?
    Charly kam ihr mit der Frage zuvor.
    »Wie? Du weißt nichts vom Lord?« Gordy spielte den Entsetzten. »Als meine Eltern vor vielen, vielen Jahren den Entschluss fassten, mir, dem einzigen Sprössling einer alten englischen Familie, eine angemessene Erziehung angedeihen zu lassen, sagte ich im zarten Alter von neun Jahren: ›Ich bin bereit. Jedoch stelle ich eine Bedingung. Nur am Genfer See werde ich meine higher education empfangen. Warum nur da? Weil der gläserne See ein geheiligter Ort ist: Hier trafen sich zwei der bedeutendsten romantischen Dichter meines Landes -‹«
    »Notgedrungen«, warf Poldy ein. »Die Shelleys flohen aufgrund ihrer verworrenen persönlichen Verhältnisse und wegen finanzieller Schieflage aus England, und Byron kreuzte mit seinem Leibarzt auf. Alle langweilten sich zu Tode -«
    »Ein Genie langweilt sich niemals«, behauptete Gordon mit Nachdruck. »Am Genfer See schrieb Lord Byron The Prisoner Of Chillon , und hier wurde auch die Idee zu Frankenstein geboren. Shelleys Geliebte und spätere Frau Mary -«

    »Sorry«, unterbrach Elena Gordys begeisterte Rede. »Chillon ist doch nicht Montreux!«
    »O, du Unwissende! Chillon ist die Festung, die große, düstere, geheimnisumwitterte Burg am See. Komm ans Fenster, damit ich sie dir zeigen kann.«
    Charly warf Elena einen amüsierten Blick zu. Gordon öffnete einen Flügel und deutete nach unten.
    »Ich seh nur wirbelnde Schneeflocken«, meinte Elena.
    »Aber das Licht! Siehst du nicht das Licht? Das ist die Burg.«
    »Ein heller Fleck ist alles, was ich sehe.«
    Charly trat zu den beiden ans Fenster. Sie reichte Gordon bis zur Schulter, jetzt legte er den Arm um Charly und forderte auch sie auf, sich vorzubeugen und hinunterzuschauen.
    Elena zog den Kopf ein. Das hatte er bei ihr nicht gemacht: Ganz klar, Goldmarie hatte schon am ersten Abend ihren Prinzen gefunden. Sie

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