Die Liebesluege
ist übel.«
»Das sehe ich.« Frau Rode richtete sich auf. »Du bleibst hier«, entschied sie. »Gegen zehn komme ich wieder, und wenn es dir dann noch nicht besser geht, rufe ich den Arzt.«
»Klar. Könnte ich bitte wieder eine Wärmflasche haben?« Charly zitterte.
Elena holte ihren roten Skianzug aus dem Schrank, zog die Sportunterwäsche und dicke Socken an, den schwarzen Fleecepulli und dann die Hose.
Umschlag und Wolle lagen noch in der Ecke; zuerst wagte sie nicht, beides aufzuheben, tat es dann aber doch und stopfte das Knäuelchen in eine Hosentasche. Den Umschlag warf sie auf dem Weg zum Speiseraum in den Papierkorb eines leer stehenden Klassenzimmers.
Obwohl sie keinen Appetit hatte, zwang sie sich, eine Scheibe Brot mit Butter und Wurst und eine Schale Müsli zu essen; schlappmachen wollte sie auf keinen Fall; es genügte, wenn Charly nicht auf dem Damm war.
»Viel Spaß, und Hals- und Beinbruch«, wünschte die ihr und zwinkerte ihr zu, was Elena merkwürdig vorkam. »Geh Swetty aus dem Weg; wer weiß, wozu die in der Lage ist.«
»Mach ich. Kannst ja das Törtchen essen, wenn es dir wieder besser geht.«
Der Tag versprach herrlich zu werden. Am frühen Morgen hatte sich der Nebel aufgelöst, der Himmel war blau und ohne eine einzige Wolke, die Sonne hatte sich schon über die Berge geschoben, der See glitzerte, und in den gestutzten Bäumen entlang des Sträßchens zwitscherten die Vögel den Frühling herbei. Die Rosianer stapften in ihren Skischuhen, die Bretter über der Schulter, bis zur Haltestelle des Zahnradbähnchens, das sie ins Gebiet der Rochers de Naye bringen würde. Victoria, Mia und Sophia-Leonie nahmen Elena in ihre Mitte, Jem und Max gingen hinter ihnen, und Gordon, der sich mit Poldy zu ihnen gesellte, deutete mit den Stöcken auf die Vögel und Byron.
»Wie geht es Charly?«, fragte Jem.
»Nicht gut. Frau Rode wird vermutlich den Arzt rufen.«
»Immer trifft’s die Falschen. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn Lana nicht hätte mitkommen können. Aber Charly …!« Poldy schüttelte den Kopf und zeigte auf Swetlana, die mit Valerie an der Haltestelle stand. »Ganz in Weiß und Gold.«
Swetlanas Anzug war tatsächlich strahlend weiß; die Reißverschlüsse und einige Stickereien an den Ärmeln glänzten golden, was Elena sofort an die Flitter am Törtchen erinnerte.
»Unpraktisch.« Mia rümpfte die Nase. »Bei Nebel sieht man sie nicht.«
Sie reihten sich in die lange Schlange ein, die sich nur langsam vorwärtsbewegte, aber schließlich und endlich waren alle in den Abteilen, stritten sich um die Sitzplätze, schoben die Fenster auf, lehnten sich hinaus und warteten darauf, dass sich die Zahnradbahn in Bewegung setzen würde.
Bis zur Endstation dauerte es eine gute halbe Stunde. Je weiter sie nach oben kamen, desto tiefer wurde der Schnee, desto schwerer schnaufte die Bahn - und desto leichter wurde Elena ums Herz. Mit jedem Höhenmeter verblassten ihre Erinnerungen, und als sie aus der Bahn stieg, warf sie die Wolle, die noch in ihrer Hosentasche steckte, in den erstbesten Abfallkorb. Im Freien blinzelte sie, setzte die Sonnenbrille auf, schnallte ihre Skier an, steckte die Hände in die Schlaufen der Stöcke und musterte die Hänge. Sie nahm sich vor, die Stunden am Berg zu genießen - einfach nur zu genießen.
Die anderen Rosianer fuhren an diesem Tag nicht zum ersten Mal Ski; zu Anfang des Winters hatten Mademoiselle Cugat und ihr Kollege, Mister Brent, die Schülerinnen
und Schüler gemäß ihrer Leistung in fünf Gruppen eingeteilt. Ein oder auch zwei Lehrer fuhren mit ihrer jeweiligen Gruppe.
»Wir treffen uns in der Tannalphütte um 13 Uhr zu einem Imbiss«, erklärte Mister Brent gerade. »Viel Spaß, passt auf euch auf!«
Da Mademoiselle Cugat noch nicht wusste, wie gut oder schlecht Elena fuhr, winkte sie sie zu sich heran. »Ihr fahrt schon mal los«, sagte sie zu ihrer Gruppe, in der auch Valerie, Jem und Max waren. »Auf geht’s, Elena. Zeig mir, was du kannst.«
Es war eine rote, also eine mittelschwere Abfahrt. Elena zögerte.
»Zu schwer für dich?«
Sie schüttelte den Kopf. Mademoiselle Cugat wurde ungeduldig. »Worauf wartest du?«
Elena stieß sich ab und wedelte die Abfahrt hinunter.
»Nicht schlecht«, lobte Mademoiselle Cugat, die ihr gefolgt war. »Liften wir hoch und nehmen die schwarze Piste. Einverstanden?«
Die schwarze Piste lag im Schatten; der Schnee war hart und herrlich zu fahren, Elena flog nur so hinunter. Mit
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