Die Liebesluege
nicht.«
»Ich habe zwar ein kleines Häuschen im Ort, aber in Zeiten wie diesen übernachte ich in meinem Zimmer hier im Haus: erster Stock, letzte Tür.« Sie legte ihre Hand auf Charlys Stirn. »Ich versteh das wirklich nicht«, wiederholte sie und glättete die Decke.
Elena sah, wie Charly die Augen schloss und sofort einschlief.
Elena setzte sich an ihren Schreibtisch und drehte den Umschlag hin und her. Heidelberger Poststempel, kein Absender. Das konnte nur etwas Blödes von ihrem Vater sein. Etwa eine Aufstellung der Ausgaben, die er ihretwegen hatte … Sie rümpfte die Nase und nahm sich vor, den Umschlag erst später zu öffnen. Dann sah sie, dass eine neue SMS auf ihrem Handy eingegangen war.
NICHT VERGESSEN: MITTWOCH 15 UHR. STEFAN.
Elena starrte auf die Nachricht. Wahnsinn! Der Mann -
einer, der einen roten Porsche fuhr und aussah wie Daniel Craig - wollte sie tatsächlich treffen? Sie schlug die Hände vors Gesicht und versuchte, ihren Gefühlen Herr zu werden: Fühlte sie sich nur geschmeichelt - oder hatte sie sich in ihn verliebt? Hatte er sich in sie verliebt? Ausgeschlossen … Oder etwa doch nicht? Sie ließ die Hände sinken und starrte lange auf die SMS. Sollte sie ihm antworten? Wollte sie ihn denn treffen? Warum eigentlich nicht? Sie zögerte, griff dann aber doch nach dem Handy.
JA, BIS DANN. ELENA
Sie war so verwirrt und aufgewühlt, dass es einige Zeit dauerte, bis sie sich auf ihre Hausaufgaben konzentrieren konnte. Die Chemie- und Matheaufgaben waren einfach, und Bio machte ihr sogar Spaß. Zuletzt prägte sie sich englische Vokabeln ein, danach packte sie Bücher und Hefte weg.
Zehn Uhr. Zu spät für den Dankesbrief. Sie las noch einmal die SMS, lächelte glücklich, zog sich dann aus, hüllte sich in den neuen Bademantel und ging in den Waschraum. Er war leer.
Sie nahm die Linsen heraus, legte sie in den dafür vorgesehenen Behälter und atmete erleichtert auf - das tat gut! Es würde eine ganze Weile dauern, bis sie sich daran gewöhnt hatte; aber die Brille, nahm sie sich vor, kam nur noch für Notfälle in Frage. Da jederzeit ein anderes Mädchen hereinkommen konnte, duschte sie in Windeseile.
Zurück im Zimmer cremte sie ihr Gesicht ein und kämmte die Haare, die etwas feucht geworden waren, rieb sich mit der neuen, nach Mandeln duftenden Lotion ein und zog ihren Schlafanzug an.
Schon wollte sie das Fenster öffnen und dann ins Bett gehen, als ihr die noch ungeöffnete Postsendung einfiel. Sie verzog das Gesicht, setzte sich auf die Kante und schnupperte am Umschlag, der, wie ihr erst jetzt auffiel, etwas merkwürdig roch.
Elena ließ den Umschlag in den Schoß sinken und runzelte die Stirn. Woher kannte sie den Geruch?
Plötzlich fiel es ihr ein: Im Biologieunterricht - oder war es in Chemie gewesen? - hatten sie mal Fleisch in verschiedenen Stadien der Verwesung unters Mikroskop gelegt … Sie schnupperte wieder. Genau! So hatte das Stückchen Fleisch gestunken, das schon in Verwesung übergegangen war. Merkwürdig.
Sie griff in den Umschlag. Leer. Noch einmal griff sie hinein und ertastete etwas Kleines, Weiches, das sie vorsichtig herauszog.
Es war ein kleiner Knäuel weißer, zarter Wolle mit winzigen blauen Noppen. Er stank.
Er stank eindeutig nach Buttersäure.
Verständnislos starrte Elena auf die Babywolle.
Urplötzlich und so, als hätte sie sich verbrannt, schleuderte sie Knäuel und Umschlag in die Ecke.
Kapitel 10
Samstag, 23. Februar
In dieser Nacht schlief Elena so gut wie gar nicht. Sie fürchtete einen neuen Albtraum. Erinnerungen kamen in ihr hoch, ruhelos warf sie sich im Bett herum und stand mitten in der Nacht auf, um im Waschraum ein Glas Wasser zu trinken.
Sie musste dann doch noch eingeschlafen sein, denn als der Gong durchs Haus dröhnte, schreckte sie hoch. Die Tür stand sperrangelweit offen, Charly war nicht in ihrem Bett. Es dauerte, bis Elena ihre Sinne so weit beisammen hatte, dass sie wie gerädert aus den Federn kriechen konnte. Skifahren, auch das noch!
Charly wankte ins Zimmer und zu ihrem Bett.
»Ich sterbe«, flüsterte sie. »Mir ist ja so schlecht, Elena.«
Es klopfte, und als Elena »Herein!« rief, erschien Frau Rode.
»Na, wie geht es uns denn heute? Bereit zum Skifahren?« Sie beugte sich über Charly und fühlte ihre Stirn. »Gut siehst du ja nicht aus, aber Fieber hast du nicht. Zeig mal deine Zunge.«
Bereitwillig öffnete Charly den Mund. »Ich hab schon wieder gespuckt. Ich kann nicht aufstehen, mir
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