Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
wäre angenehm gewesen, sich auf seinen muskulösen Körper stützen zu können, falls der Mohnsirup, wie fast immer, nicht half. Er würde seinen Stab mitnehmen, der glücklicherweise nicht nur eine zeremonielle Bedeutung, sondern auch einen praktischen Nutzen hatte, und er würde seine feinsten weißen Kleider und über dem Herzen die Kette mit der goldenen Eiche tragen. Ansel würde alle Kraft, die er aufbringen konnte, und jedes einzelne Symbol seines Amtes brauchen, um den Hüter des Archivs einzuschüchtern. Der dicke Hausmantel und die Pantoffeln würden den Eindruck ein wenig verderben, aber daran war nichts zu ändern. Auf gar keinen Fall wollte er in den kalten Korridoren des Mutterhauses beben und zittern, wenn er nach den Schlüsseln für die Bücher verlangte, die sogar vor dem Lektor von Dremen verborgen gehalten wurden.
13
Goran nahm die Flasche vom Bord und blies ehrerbietig den Staub von ihr. Es handelte sich um einen dreißig Jahre alten tylanischen Goldwein – den letzten aus der Kiste, die er von seinem Vater geerbt hatte. Die erste Flasche hatte er geöffnet, als er zum Bischof aufgestiegen war, und die letzte hatte er sich für eine besondere Gelegenheit aufgespart. An diesem Abend war sie gekommen.
Mit der Kerze in der Hand stieg er die Stufen aus dem Keller empor und verriegelte die Tür hinter sich. Bei all den feinen alten Jahrgängen, die unter seinen Füßen schlummerten, konnte er nicht vorsichtig genug sein. Er steckte den Schlüssel wieder in die Tasche seiner Hausrobe und schlurfte durch das stille Gebäude zu seinem Arbeitszimmer. Ein großes rechteckiges Paket lag auf dem Schreibtisch, eingewickelt in Ölhaut und mit Bindfaden gut verschnürt. Er versuchte, es nicht anzusehen, während er alles vorbereitete.
Schon mehrere Stunden widerstand er dem Drang, es zu öffnen. Die freudige Erwartung hatte es ihm schwer gemacht, aber es war wichtig, dass vorher alles ordentlich hergerichtet wurde. Er drehte die Lampen herunter, bis sich die eichengetäfelten Wände in die Schatten zurückzogen, und stellte seine Kerze zu den anderen, die bereits auf dem Tisch standen. Kerzenlicht war am besten geeignet, wie er herausgefunden hatte. Gute weiße Wachskerzen hatten die sauberste Flamme. Die Vorhänge waren bereits zugezogen und das Feuer im Kamin entfacht. Sein Arbeitszimmer war behaglich wie eine Höhle. Dicke Wollstoffe und poliertes Holz, auf dem Sessel lagen seine Lieblingskissen, und die Bediensteten waren schon zu Bett gegangen, so dass niemand ihn störten würde. Perfekt.
Von dem silbernen Tablett beim Kamin nahm er ein Kristallglas und polierte es hingebungsvoll mit einer Serviette. Dann öffnete er sehr vorsichtig den Branntwein und goss sich reichlich ein. Der honigfarbene Alkohol gab ein köstliches, sirupartiges Geräusch von sich und leuchtete im Glas wie ein Destillat guter Laune. Goran summte vor sich hin, setzte sich in seinen Sessel und zog das Paket zu sich heran.
Jetzt. Er durchschnitt den Bindfaden und legte die Enden zur Seite. Dann faltete er die Ölhaut auf. O wie wunderbar! Dunkelroter Samt darunter. Seine fetten Finger zuckten vor Erregung, als sie den Stoff berührten und seinen neuen Schatz enthüllten.
Ein Buch. Nicht irgendein Buch. Goran hatte fast ein Jahrzehnt mit dem Versuch verbracht, es zu erwerben. Im letzten Jahr hatte sein Agent ihm verkündet, er habe in Sardauk ein Exemplar aufgespürt, das möglicherweise zum Verkauf stand. Nach zehn Monaten vorsichtiger Verhandlungen war der Buchhändler in Marsalis mit einem Preis einverstanden gewesen, der Goran die Tränen in die Augen getrieben hatte, aber er musste es einfach besitzen, und so hatte er die geforderten fünfhundert Imperiale dafür bezahlt. Sicherlich war es diese Summe wert.
Mit immer rascher schlagendem Puls drehte er das Buch auf seiner Samtunterlage und kräftigte sich mit einem weiteren Schluck Branntwein. Das Buch war von Hand in feinstes elfenbeinfarbenes Kalbsleder gebunden. Es besaß keinen Titel – diejenigen, die es kannten, benötigten nichts so Vulgäres wie eine Rückenbeschriftung, und diejenigen, die es nicht kannten, mussten nicht wissen, worum es sich handelte. Allein der Anblick reichte aus, um Goran ein wenig Schweiß auf die Stirn zu treiben. Mit großer Vorsicht öffnete er Kendors Garten und wusste sofort, dass er für dieses Exemplar auch tausend Imperiale bezahlt hätte; also war es sogar günstig gewesen.
Vor jeder dicken Pergamentseite kam ein Blatt feinsten
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