Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
ließ sie durch seine Finger gleiten. »Und so gut wie nichts davon steht hier drin.«
Danilar verspürte ein Gefühl des Unbehagens. »Das ist … beunruhigend«, sagte er.
»Wie in den alten Zeiten, nicht wahr?« Der Präzeptor grinste wölfisch. »Nach vierundzwanzig Jahren sind wir wieder da, wo wir angefangen haben – aber damals waren meine Agenten wenigstens nützlich, und dabei gingen sie das Risiko ein, mit ihren eigenen Gedärmen erdrosselt zu werden, wenn sie erwischt wurden. Sag mir, was du davon hältst, Danilar. Ich brauche einen klaren Blick und offene Worte von jemandem, der lange in Gimrael gelebt hat und weiß, wie es in einem Vipernnest zugeht.«
»Dazu braucht Ihr mich wohl kaum, Ansel. Ihr wart doch selbst da.« Unwillkürlich griff Danilar nach seinem Glas. Ein wenig Alkohol im Magen würde ihn beruhigen. »So hat es auch beim letzten Mal angefangen, und es endete in Samarak. Sind die Interessen der Kirche beeinträchtigt worden?«
»Darüber habe ich keine Berichte, aber der Kult neigt dazu, keine Zeugen zu hinterlassen. Deshalb könnte es einige Zeit dauern, bis alles ans Licht kommt.«
»Weiß der Kaiser schon davon?«
»Ich habe heute Morgen einen Kurier losgeschickt, aber ich bin mir sicher, dass Theodegrances Spione ihn bereits unterrichtet haben.«
»Es ist Kierims Aufgabe, den Frieden in Gimrael aufrechtzuerhalten. Er muss sich um die Grenzen kümmern, wenn er den Kult im Zaum halten will.«
»Tausend Meilen Sand? Niemand kann erwarten, eine solche Grenze ohne die Unterstützung der Bevölkerung zu halten, und aus ihr rekrutiert der Kult die meisten seiner Sympathisanten. Selbst in guten Zeiten liegen sie im Streit mit den Bewohnern der Wüstenrandgebiete. Nein, Danilar.« Ansel kniff den Mund zu einer dünnen Linie zusammen, die wie eine blasse, straffe Narbe aussah. »Ich bin ein altes Kriegspferd und rieche die Schlacht, lange bevor die Trompeten erschallen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Endirions Standarte wieder den Legionen vorangetragen wird.«
Danilar erschaute. »Ich bete zur Göttin, dass Ihr unrecht haben möget. Keiner wird uns dafür danken, wenn wir wieder einen Wüstenkrieg führen. Der letzte hat dazu geführt, dass ich mein Schwert an den Nagel gehängt habe und in den Orden eingetreten bin.«
»Wir werden keine Wahl haben, wenn der Lektor eine Glaubenskrise erklärt.«
»Womit sollen wir denn kämpfen?«, fragte Danilar und breitete die Hände aus. »Wir sind zu wenige, Ansel. Ich bezweifle, dass wir mehr als vier Legionen aufstellen könnten, selbst wenn wir das gesamte Noviziat einbezögen.«
»Wir müssen unsere Gebete dementsprechend ausrichten, denn ich fürchte, dass uns keine Wahl bleiben wird.« Ansel kippte den Rest seines Branntweins hinunter und schluckte schwer. Fast sofort musste er husten. Er hielt sich eine Hand vor den Mund, während er mit der anderen in der Tasche nach einem Schnupftuch suchte. Jedes Husten erschütterte seinen schmalen Körper, wie der Wind eine Weide schüttelte.
Danilar ging in den angrenzenden Raum, holte ein Glas Wasser aus dem Krug auf dem Nachttisch und stellte es auf den Tisch, als der Präzeptor ein letztes Mal hustete und sich über die Lippen wischte.
»Danke«, sagte Ansel rau. Seine Brust hob und senkte sich noch immer. »Vielleicht war Branntwein am Mittag doch keine so gute Idee.«
Er trank das Wasser, bis sich seine Atmung beruhigt und seine bleichen Wangen wieder eine natürliche Farbe angenommen hatten.
Danilar runzelte die Stirn. »Ich glaube, ich sollte nach dem Arzt rufen.«
»Bei der Göttin, nein!«, sagte Ansel und bedeutete ihm, wieder auf dem Stuhl Platz zu nehmen. »Damit sollten wir Hengfors nicht belästigen.«
»Ansel, es geht Euch nicht gut.«
»Unsinn. Mit mir ist alles in Ordnung. Ich habe mich bloß am Branntwein verschluckt.« Er faltete das Schnupftuch und steckte es wieder in die Tasche; dann lehnte sich der Präzeptor zurück. »Siehst du? Alles im Lot. Wenn du Hengfors rufst, erwartet er, dass ich einen seiner üblen Tränke zu mir nehme, und das ist noch schlimmer, als krank zu sein. An die Arbeit; wir haben noch einiges zu tun.«
Er zog den Stapel mit den Flugblättern zu sich heran und wischte die Nachrichtenzettel mit der Hand beiseite. Streifen aus lebhaftem Scharlachrot zogen sich über das vergilbte Papier.
Danilar starrte das Blut an und fürchtete sich vor dem, was es bedeuten mochte.
Ansel folgte seinem Blick, nahm wieder das Taschentuch hervor und
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