Die Lilie im Tal (German Edition)
in deren Verlauf ich wahre Kindereien zu hören bekam, die mich seltsam überraschten. Dem Comte waren Tatsachen von einleuchtender Beweiskraft unbekannt. Er fürchtete Leute, die viel wissen; jegliche Art von Überlegenheit verleugnete er; er verspottete, vielleicht mit Recht, den Fortschritt; endlich entdeckte ich in ihm eine große Anzahl wunder Stellen, die zu äußerst schonender Vorsicht zwangen, so daß eine längere Unterhaltung ein wahres Kunststück wurde. Als ich seine Mängel gewissermaßen betastet hatte, paßte ich mich ihnen an mit derselben Geschmeidigkeit, mit der die Comtesse sie liebkoste. Zu einer andern Zeit meines Lebens hätte ich ihn höchstwahrscheinlich verletzt; da ich aber schüchtern war wie ein Kind und mir einbildete, nichts zu wissen, oder doch glaubte, daß fertige Männer alles wissen müßten, blickte ich voller Staunen auf die wunderbaren Resultate, die der geduldige Landwirt in Clochegourde erzielt hatte. Voller Bewunderung hörte ich seinen Plänen zu. Schließlich trug mir eine unwillkürliche Schmeichelei das Wohlwollen des alten Edelmannes ein: ich sagte ihm, daß ich ihn um seine hübsche Besitzung und ihre Lage beneide, dieses Paradies auf Erden, das ich hoch über Frapesle stellte.
»Frapesle«, sagte ich, »ist ein massives Silbergefäß, aber Clochegourde ist ein Kästchen voll köstlicher Edelsteine.« Diesen Satz hat er seither, mit Angabe des Autors, oft genug wiederholt. »Ja, ehe wir hierherkamen, war es eine Wüste«, antwortete er.
Ich war ganz Ohr, wenn er von seinen Saaten, von seinen Baumschulen sprach. Ein Neuling in allen landwirtschaftlichen Dingen, überhäufte ich ihn mit Fragen über Preise, über Ausbeutung des Bodens, und er schien beglückt, mich über so viele Einzelheiten belehren zu können.
»Was bringt man Ihnen denn in Schulen bei?« fragte er mich verwundert.
Schon an jenem ersten Tage sagte der Comte bei der Rückkehr zu seiner Frau: »Monsieur Felix ist ein reizender junger Mann.«
Am Abend schrieb ich meiner Mutter, bat sie, mir Kleider und Wäsche zu schicken, und teilte ihr mit, daß ich in Frapesle bliebe. Ich wußte nichts von den großen Umwälzungen, die damals vor sich gingen, und ahnte nicht, welchen Einfluß sie auf meine Geschichte haben sollten. So glaubte ich, daß ich nach Paris zurückkehren würde, um mein juristisches Studium zu beenden, und die Vorlesungen fingen erst Anfang November wieder an; es lagen also zweieinhalb freie Monate vor mir.
Zu Anfang meines Aufenthalts versuchte ich, in ein vertrautes Verhältnis zum Comte zu kommen, und es war eine Zeit peinlicher Eindrücke. Ich entdeckte eine Reizbarkeit, die sich, ohne jeden Grund, verletzt fühlte, überhasteten Tatendrang in verzweifelten Fällen: das alles erschreckte mich. Bisweilen loderte in ihm plötzlich der Mut des Edelmannes auf, der sich in der Armee Condés ausgezeichnet hatte. Wie Kometen schossen Willensblitze in ihm auf, so wie sie in Zeiten des Aufruhrs bombengleich in die politische Welt hineinsausen und die, wenn sie sich von ungefähr mit Mut und Ehrenhaftigkeit verbinden, aus einem schlichten Landedelmann, der zu einem zurückgezogenen Leben gezwungen war, einen d'Elbée, Bonchamps oder Charette machen. Bei gewissen Vermutungen spitzte sich seine Nase zu, seine Stirn erhellte sich, seine Augen schleuderten Blitze, die alsbald wieder abflauten. Ich fürchtete, daß, wenn Monsieur de Mortsauf die Sprache meiner Augen entzifferte, er mich auf der Stelle totschlüge. Damals war ich nur zärtlich: der Wille, der die Menschen so wunderbar verwandelt, begann sich in mir erst zaghaft zu regen. Meine maßlosen Süchte versetzten meine Empfindsamkeit in rasche Schwingungen, die oft einem Angstzittern glichen. Ich schreckte vor dem Kampfe nicht zurück, aber ich wollte das Leben nicht verlieren, ohne das Glück einer erwiderten Liebe gekannt zu haben. Die Schwierigkeiten und meine Wünsche wuchsen in gleichem Maße. Wie sollte ich von meinen Gefühlen sprechen? Ich war ein Raub der traurigsten Verwirrung. Ich wartete auf einen Zufall, ich beobachtete; ich befreundete mich mit den Kindern und gewann ihre Liebe; ich versuchte, mich dem Ton des Hauses anzupassen. Schon hielt sich der Comte weniger vor mir zurück. Ich bemerkte seinen plötzlichen Stimmungswechsel, seine unbegründeten Anfälle von Schwermut, seine raschen Aufwallungen, seine bitteren und schneidenden Klagen, seine gehässige Kälte, seine zurückgedämmten Wahnsinnsausbrüche, seine
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