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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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unberechenbaren wütenden Ausfälle. Ich hörte ihn ächzen wie ein Kind und schreien wie einen Verzweifelten.
    Die seelische Welt unterscheidet sich von der physischen dadurch, daß es in ihr keine absoluten Gesetze gibt: die Nachdrücklichkeit der Wirkung ist abhängig von der Beschaffenheit der Charaktere oder von den Ideen, die wir um eine Tatsache gruppieren. Mein Verhalten in Clochegourde, meine ganze Zukunft hingen von dem unberechenbaren Willen des Comte ab. Es läßt sich nicht beschreiben, welch quälende Angst meine Seele zusammenschnürte – meine Seele, die sich gleich schnell öffnete und verschloß –, wenn ich mir beim Eintreten sagte: ›Wie wird er mir begegnen?‹ Welche Beklemmung erdrückte mein Herz, wenn ich plötzlich auf seiner weißen Stirn Gewitterwolken sich ansammeln sah. Ich war immer auf dem Sprung. Ich erlag dem Despotismus dieses Menschen, und meine eigenen Leiden gaben mir den Maßstab für die, die Madame de Mortsauf ausstand. Wir fingen an, verständnisvolle Blicke zu tauschen, meine Tränen flossen oft, wenn sie die ihren zurückhielt. Die Comtesse und ich, wir maßen uns im Leid. Wie viele Entdeckungen machte ich doch während jener ersten vierzig Tage voll wirklicher Schmerzen und unausgesprochener Freuden, voll Hoffnungen, die bald in den Grund gebohrt wurden, bald obenauf schwammen!
    Eines Abends fand ich sie in Andacht versunken vor einem Sonnenuntergang, der die Gipfel in wollüstiges Rot tauchte, während er das Tal wie ein Lager im Dämmer ließ, so daß es unmöglich war, nicht die Klänge des ewigen Liedes der Lieder herauszuhören, mit dem die Natur ihre Geschöpfe zur Liebe lädt.
    Fand das junge Mädchen seine entschwundenen Illusionen wieder? Schmerzte die Frau ein heimlicher Vergleich? Ich glaubte, in ihrer Haltung eine gewisse Abspannung zu bemerken, die den ersten Geständnissen dienlich schien, und sagte: »Es gibt im Leben so schwere Tage!« – »Sie haben in meiner Seele gelesen«, sagte sie; »aber wie war es möglich?« – »Es gibt zwischen uns so viele Berührungspunkte«, antwortete ich. »Gehören wir nicht zu der kleinen Zahl bevorzugter Wesen, die für Leid und Freude doppelt empfänglich, deren Gemütssaiten alle aufeinander abgestimmt sind und durch ihre gleichen Schwingungen große, volle Töne hervorrufen und deren Nervenleben im Einklang mit dem Urgrund aller Dinge steht?... Wenn solche Menschen in einem Konzert von Mißklängen leben, leiden sie furchtbar, wie anderseits ihre Freude bis zur Verzückung sich steigert, wenn sie Gedanken, Empfindungen oder Wesen begegnen, die ihnen innerlich verwandt sind. Aber es ist für uns ein dritter Zustand möglich, dessen Leiden nur den Seelen bekannt sind, die an derselben Krankheit leiden und bei denen sich brüderliches Verstehen findet. Wir können guten wie schlimmen Eindrücken verschlossen sein. Eine Orgel, reich an klangvollen Registern, spielt in der Leere unsers Herzens, braust in gegenstandsloser Leidenschaft, bringt Töne hervor, ohne sie zu Melodien zu formen, und wirft ihre Klänge hinaus in lautlose Stille. Das ist der furchtbare Widerstreit in einer Seele, die sich gegen die Nutzlosigkeit des Nichts aufbäumt. Das sind die aufreibenden Spiele, in denen unsere Kraft sich vergeudet, wie das Blut aus einer unbekannten Wunde sickert. Ströme von Empfindungen werden vergossen, das führt zu furchtbarer Entkräftung, zu namenloser Schwermut, für die der Beichtstuhl kein Gehör hat. Habe ich nicht unsere gemeinsamen Leiden geschildert?« Sie erbebte, und ohne den Blick vom Abendrot zu wenden, antwortete sie: »Woher wissen Sie das alles? Sie sind so jung. Waren Sie denn einmal ein Weib?« – »Ach«, antwortete ich ihr mit Rührung in der Stimme, »meine Kindheit war nur eine lange Krankheit.« – »Ich höre Madeleine husten«, sagte sie und stürzte davon.
    Die Comtesse sah meine Bemühungen um sie, ohne daran Anstoß zu nehmen, und das aus zwei Gründen. Zunächst war sie rein wie ein Kind, und ihre Gedanken gerieten nie auf Abwege. Außerdem zerstreute ich den Comte. Ich war für diesen Löwen ohne Krallen und Mähne eine willkommene Beute. Schließlich fand ich einen Grund, häufig zu kommen, der allen einleuchtete: Ich konnte nicht Tricktrack spielen; Monsieur de Mortsauf schlug mir vor, es mir beizubringen, und ich ging darauf ein. Im Augenblick, da wir diese Abmachung trafen, konnte die Comtesse nicht umhin, mir einen mitleidsvollen Blick zuzuwerfen, der besagen sollte: ›Aber Sie

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