Die Lilie von Florenz
stand, konnte sie ihn sehen. Er hatte helle groÃe Augen und einen sinnlichen Mund. Das schwarze Haar hing ihm verwegen in die Stirn. Er trug keine Perücke â aber das hatte er auch nicht nötig, wie sie fand.
âWorüber willst du mit mir reden?â
Allegra schaute ihn über die Schulter hinweg an.
âTs-ts-ts! Nicht bewegen!â, rief sogleich Signore Rossi. Mit einer Nadel piekte er Allegra durch den Stoff. âIhr ruiniert das Kleid, Signora!â
Damit übertrieb er sicher. Aber Allegra drehte sich gehorsam wieder nach vorne. Sie blickte Luigi im Spiegel an.
âNun?â
âWillst du ihn heiraten?â, platzte Luigi heraus.
Allegra überraschte die Frage. âIch verstehe nicht, was du meinst â¦â
âWie ich es sage. Willst du ihn heiraten?â
âEr ist ein gut aussehender, stattlicher Mann, und ja, jede Frau würde sich wohl glücklich schätzen, wenn er bei ihrem Vater um ihre Hand anhielte.â
âDas meine ich nicht.â Luigi wurde ungeduldig. âWas ist mit dir? Magst du ihn?â
âAber ich kenne ihn doch gar nicht â¦â
âNa ja, das will ich wohl meinen. Wusstest du, dass es in Florenz so manches Gerücht über ihn und seine ⦠Vorlieben gibt?â Luigi senkte den Blick, als Signore Rossi sich missbilligend räusperte. Er glaubte wohl, solche Unterhaltungen schickten sich nicht für eine junge Braut und ihren Bruder.
Allegra ignorierte Signore Rossi. âWas erzählt man sich denn?â, fragte sie möglichst unbeteiligt. Aber sie atmete tief durch und legte eine Hand auf ihren Bauch. Oh, sie ahnte schon, worauf Luigi anspielte. SchlieÃlich hatte sie es mit eigenen Augen gesehen.
âEr gibt ausschweifende Abendgesellschaften.â Luigi beugte sich vor. âIch weià von einigen meiner Freunde, dass sie dorthin eingeladen wurden und als Lustknaben â¦â
âNun ist aber mal gut, junger Signore!â Missbilligend schnalzte Signore Rossi mit der Zunge. âUnd Ihr hört auf zu lachen, Signora, sonst setze ich Euer Brüderchen vor die Tür, wie ichâs schon mit Euren Täubchen getan habe!â
Allegra versuchte, wieder ernst zu werden. Aber das Lachen war wie das Prickeln, das ihr vom Champagner in die Nase stieg, den ihr Vater für die Hochzeit beim angesehenen Champagnerhaus Ruinart bestellt hatte. Vor wenigen Tagen hatten sie eine Flasche des Schaumweins probiert, der so ganz anders schmeckte als die schweren roten Weine, die sie gewohnt war.
Luigi grinste breit.
âSeid doch mal still!â Allegra verlor langsam die Geduld mit diesem vorlauten Schneider. Dieser verzog das Gesicht und zerrte stumm an ihrem Mieder herum. An Luigi gewandt sagte sie: âErzähl!â
âNun, viel gibt es da nicht zu erzählenâ, sagte Luigi. âIch höre ja auch nur die Gerüchte. Er hat eine Mätresse â das dürfte wohl ein offenes Geheimnis sein, denn sie begleitet ihn überall hin. Sie ist auch heute Abend hier â¦â
âIch weiÃ. Cristina.â
âDie Contessa Cristina della Visconti, ja. Woher weiÃt du davon?â
Allegra lächelte geheimnisvoll.
âJedenfalls ist sie nicht die Einzige, die in Florenz gegen dich Politik macht. Es gibt so manchen Adeligen, der lieber seine Tochter oder Schwester mit Matteo del Pirandelli verlobt hätte. Und das verstehe ich ehrlich gesagt nicht.â
âWas verstehst du nicht? Warum er bei Vater um meine Hand angehalten hat?â
âSieh dich doch um!â Luigi machte eine weit ausholende Armbewegung. âWir sind â zumindest mit dem MaÃstab eines Conte del Pirandelli gemessen â arm. Wir haben nichts, wenn man von unserem Landgut und ein bisschen Landbesitz absieht. Vater musste sich Geld leihen, um die Verlobungsfeier auszurichten, wusstest du das?â
Allegra biss sich auf die Unterlippe. Nein, davon hatte sie nichts gewusst. Sie hatte es wohl geahnt, aber den Gedanken an die drängenden Geldsorgen hatte sie immer beiseite geschoben.
âEr hat meinen ersten Auftritt im Herbst verkauftâ, sagte Luigi leise. âMeine Premiere in der Oper von Rom hat unser Vater meistbietend versteigert. Für diesen Abend. Für dich.â
Allegra fuhr gerade in dem Augenblick zu ihm herum, als Signore Rossi eine Nadel in den Stoff stach. Sie bemerkte gar nicht, dass er sie in den Bauch piekte. Kurzerhand hob sie den Rock
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