Die Lilie von Florenz
Tagen einen Umhang. Ihr Haar war schulterkurz abgeschnitten. Ihre Hände fuhren auf den Oberschenkeln auf und ab. Es war eine neue Erfahrung, alles war neu, aber was sie am meisten erstaunte, war die innere Ruhe, die von ihr Besitz ergriff. Sie freute sich auf Florenz. Sie freute sich darauf, sich frei in den StraÃen der riesigen Stadt bewegen zu können. Als Kastrat gab es für sie keine Grenzen.
Luigis Hand strich über ihren Nacken. Allegra spürte eine frische Brise, die durch das offene Fenster hereinwehte, sie spürte, wie der Wind ihre nackte Haut im Nacken liebkoste. Nie war ihr das so aufgefallen. Wie sanft die Berührung des Windes war. Wie behutsam Luigi ihren Hals berührte, der jetzt schutzlos war. Oft hatte sie schon ihr Haar hochgesteckt, doch erst jetzt, da ihr Haar auf dem Teppich landete, fühlte sie sich verletzlich.
âFertigâ, flüsterte Luigi.
Er hatte das Haar, das ihr geblieben war, im Nacken zusammengefasst und nach der neuen Mode mit einer schwarzen Schleife zusammengebunden. Es war nun streng aus dem Gesicht gebürstet. Allegra beugte sich vor.
Sie war sich selbst fremd.
Aber vielleicht war das auch das Beste, was ihr passieren konnte. Wenn sie sich selbst schon fremd war, wie mochte es dann erst Matteo ergehen, wenn er sie sah? Nein, er konnte sie nicht erkennen. Vor ihr saà ein junger Mann, der ernst dreinblickte, der sich nur behutsam bewegte. Blass war er, und sein Gesicht wurde von den groÃen grauen Augen dominiert. Die kleine schmale Nase, die vollen Lippen â all das fügte sich zu dem hübschen Gesicht eines Knaben zusammen.
Keine Frau.
Es war, als hätte Luigi mit diesem letzten Schritt ihre Weiblichkeit ausgelöscht.
âZufrieden?â, fragte er leise.
Sie wollte schon den Kopf schütteln. Doch dann nickte sie zögernd.
âEs ist perfektâ, gestand sie. âUnd ich kann mich frei in Florenz bewegen?â
âEr wird dich nicht erkennen. Wenn du so herumläufst, wird jeder denken, du wärst ein junger Kastrat. Niemand käme auf die Idee, eine Frau unter den Kleidern zu vermuten.â
Allegra stand auf. Sie trat an das Fenster, stieà es weit auf. Der Himmel war wolkenverhangen.
âKommâ, sagte sie. âLass uns nach Florenz gehen.â
Ich will Matteo wiedersehen. Ich will sehen, wie er ist, wenn er mich nicht bei sich glaubt. Ich will sehen, wie er lebt, wie er begehrt. Ich will sehen, ob er sich ändert. Und wenn er sich ändert, dann will ich ihn spüren. Nur für mich soll er sein .
4. KAPITEL
Müde legte Matteo die Feder beiseite. Die letzten Stunden hatte er am Schreibtisch damit zugebracht, Briefe zu schreiben. Langweilige Korrespondenz mit den Verwaltern seiner Landgüter, mit Freunden, die sich ihm andienten. Briefe von Frauen hatte er beantwortet, die ihn in ein erotisches Spiel der Worte verstricken wollten, weil sie sich davon einen Vorteil erhofften.
Ja, als Liebhaber war er ebenso begehrt wie als Freund.
Er schob den letzten Brief beiseite, den er soeben versiegelt hatte. Dann zog er noch einmal das unscheinbare Billet heran, das am frühen Morgen von einem Boten gebracht worden war.
Im ersten Moment hatte er seine Aufregung bezähmen müssen, als er die etwas unsichere Handschrift von Giancarlo Bandinelli erkannte. Dann jedoch, nachdem er das in knappen Worten verfasste Billet gelesen hatte, war die Wut in ihm aufgekocht.
Er hatte die Karaffe mit Wein an der Wand zerschmettert.
Was fiel dieser kleinen Schlampe ein, ihn hinzuhalten?
Der Brief vom alten Bandinelli war unmissverständlich. Allegra sei, so schrieb er, für längere Zeit mit unbekanntem Ziel verreist. Der Hochzeitstermin im Oktober könne nicht eingehalten werden.
Verreist! Und das sollte er glauben?
Matteo zog ein neues Blatt Papier aus der Lade. Er tauchte den Gänsefederkiel so schwungvoll in die schwarze Tinte, dass einige Tropfen aus dem Fass spritzten. Egal! Schwungvoll setzte er an, den störrischen Signore Bandinelli daran zu erinnern, dass er ihm eine nicht unbeträchtliche Summe vorgeschossen hatte, damit dieser alte Mann die Verlobung im eigenen Haus ausrichten konnte. Wenn Allegra im Oktober nicht zur Hochzeit erschiene, so schrieb er, fordere er das Geld zurück. Sofort. Ihm war es egal, in welche finanzielle Schwierigkeiten er die Familie Bandinelli damit brachte. Und nein, kein Aufschub. Er wollte Allegra.
Er sehnte sich schmerzlich nach ihr,
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