Die Lilie von Florenz
âEs stimmt, Frauen werden dort nicht geduldet. Es ist eine kleine Gemeinschaft, die ihre eigenen Regeln hat.â
âAber wie â¦?â Allegra runzelte die Stirn. Dann verstand sie. âDu meinst ⦠ich soll als Mann â¦?â
âGenau! Niemand wird hinter der Fassade eines jungen Kastratensängers, der aus Paris oder sonst woher gekommen ist, um seine Fertigkeiten zu vervollkommnen, eine junge Frau vermuten.â
Einen Moment stand Allegra still und überlegte. Doch dann nickte sie langsam. Ja, es könnte funktionieren. Es war eine Möglichkeit, Matteo nahe zu sein und sich ihm dennoch zu entziehen.
âEine gute Ideeâ, sagte auch ihr Vater zu Allegras Ãberraschung. Er stemmte sich aus dem Lehnstuhl hoch. âNirgends kann man sich besser verstecken als in der Höhle des Löwen â¦â
Luigi scheuchte Lucia und Ana aus dem Ankleidezimmer. âRaus mit euch, was hier passiert, ist kein Weiberkram!â
Die Mädchen suchten kichernd das Weite. Schnell hatte sich im Haus herumgesprochen, was die Herrschaften planten. Lucia und Ana hielten es für ein groÃartiges Abenteuer und wären zu gerne dabei gewesen, wenn aus Allegra der junge Kastrat Alessandro Bandini wurde.
Eine Woche war inzwischen seit jener verhängnisvollen Verlobungsfeier vergangen. Morgen wollten sie sich auf den Weg nach Florenz machen, wo Luigi bereits erwartet wurde. Und heute war ein Brief gekommen â aus Florenz. Matteo del Pirandelli befahl seiner Verlobten, sich zur Hochzeitsfeier im Oktober einzufinden.
âEr befiehlt es â¦â Allegras Vater hatte das Papier sinken lassen. âNun bleibt uns keine andere Wahl, nicht wahr? Bist du noch immer entschlossen, es zu tun, mein Kind?â
Allegra hatte entschlossen genickt. Ja, jetzt blieb ihr kein anderer Ausweg.
Luigi hatte einige Kleider herausgesucht, aus denen er schon längst herausgewachsen war. Diese zeigte er nun Allegra, und sie staunte über sich selbst, als sie zielstrebig ein nachtblaues Justaucorps mit passender Weste, ein helles Leinenhemd und eine hellbraune Kniebundhose auswählte.
âDann hinein mit dir.â Luigi reichte ihr die Kleidungsstücke.
Allegra verschwand hinter dem halbhohen Paravent. Sie legte die Ãrmel ab, hakte das Kleid auf und stieg aus den sich bauschenden Röcken. Das Schnürmieder konnte sie allein nicht öffnen, da es im Rücken fest verknotet war. Luigi half ihr dabei. Dann stand sie nur noch im Unterhemd vor ihm, das ihr bis an die Knie reichte. Ratlos hielt sie Hose und Hemd in den Händen. Und jetzt?
Luigi erkannte ihre Hilflosigkeit. Er wusste Rat.
âZunächst die Hoseâ, riet er ihr. âDanach kannst du das Unterhemd ausziehen.â
Allegra fuhr zu ihm herum. âIch darf mein Unterhemd nicht anbehalten?â
âNein. Im Gegenteil. Ich fürchte, wir müssen deine Brüste einschnüren.â
âAber dann hätte ich doch das Schnürmieder anbehalten können!â
Sie hatte zwar gewusst, dass sie einiges verändern musste, aber würde sie sich nicht nackt fühlen, wenn sie kein Unterhemd trug? Es war schon ein unangenehmes Gefühl, als sie in die Hose schlüpfte. Linkes Bein, rechtes Bein. Sie zog die Hose hoch, spürte den Stoff, der erst an ihren Schenkeln rieb und sich dann gegen ihr Geschlecht drückte. Vorsichtig machte Allegra einen Schritt.
âDu wirst die Hose schon zumachen müssen.â
Plötzlich stand Luigi vor ihr. Er schien überhaupt nicht verlegen, als er ihr half, die Knöpfe zu schlieÃen. Allegra stand wie erstarrt vor ihm, lieà ihn gewähren, während sie selbst nur ihr Unterhemd hoch hielt.
âAber ist das nicht unangenehm, wenn sich der Stoff â¦â Sie errötete und sprach nicht weiter.
âDavon merkst du nichts. Die Hosen sind angenehm weit geschnitten. So.â Zufrieden trat er zurück und betrachtete sein Werk. âJetzt das Hemd.â
Allegra schlang die Arme um ihren Oberkörper. âDenkst du, das ist alles so eine gute Idee?â
âAch, Schwesterchen.â Obwohl er drei Jahre jünger war als sie, fühlte sich Allegra in diesem Moment kleiner und unerfahrener. Sie blickte zu ihrem Bruder auf.
âIch verspreche dir etwas. Wenn es dir gar nicht gefällt, musst du es nicht machen. Aber es sollte uns den Versuch wert sein, oder nicht?â
Und wenn ich es nicht wenigstens versuche, wird
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