Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
Dachrinne hing ein meterlanger Eiszapfen. Es war kalt, aber eine strahlende Sonne stand am Himmel. Ideales Skiwetter, dachte sie. Gleichzeitig bemerkte sie das sehr dicke Panzerglas. Hier schien jemand Angst zu haben.
»Sagen Sie, eine kurze Frage …« Sie wollte den Alten ein wenig aus dem Konzept bringen. »Ich habe weiter unten einen Mitfahrer gehabt. Er warnte mich vor Ihnen. Kennen Sie zufällig einen Ezechiel?«
Köhn hob erstaunt die Augenbrauen.
»Ezechiel, weißes Leinengewand, keine Zähne«, ergänzte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Nie gehört. Wir haben mit den Menschen hier nicht viel Kontakt. Wir sind gern allein«, sagte er streng.
Er griff in ein Seitenfach des Rollstuhls und zog einen weiteren Ordner hervor. »Ihr Husarenstück im Sommer ging ja durch alle Medien. Ihr Kampf gegen das Böse hat sicher viele beeindruckt.« Er blätterte und zeigte ihr Fotokopien mit Bildern von Jan und Regina in Syrien, Berlin und Israel. Es waren teils offizielle Bilder aus Zeitungen oder Fernsehsendungen, aber es gab auch Fotos, die unmöglich von Journalisten gemacht worden sein konnten.
Regina wurde unruhig. »Woher stammen diese Bilder?«
Köhn hob beschwichtigend die Hand. »Sie wurden seit Ihrer Einreise nach Deutschland von einer Gruppe observiert. Diese Gruppe hat mir das Material, sagen wir, überlassen. Ich konnte also Ihrem Abenteuer im Nachhinein folgen. Sie haben mit Ihrem Kampf gegen die Lilith-Sekte ein Tor aufgestoßen, dessen Ausmaße Sie nicht abschätzen können. Fischer und seine Bande waren nur ein kleiner Teil, der Kopf der Medusa sozusagen. Aber all das Böse, was es bedeutete, wächst nach. Sie haben in die Geschehnisseeingegriffen. Aber hier habe ich etwas für Sie …« Er warf ihr eine kleine Sammlung von Papieren, eingeschweißt in eine Plastikfolie, auf den Schoß. »Das müssen Sie studieren. Das kann irgendwann einmal Ihre Chancen erhöhen, Ihr Leben nicht zu verlieren.«
»Aha, und warum tun Sie das?«, fragte Regina und warf gleichzeitig einen Blick auf die Dokumente. Sofort erkannte sie den Reichsadler der Nazis auf dem Briefkopf. Waren das Fälschungen? So einfach gab man doch so etwas nicht aus der Hand.
»Ich nehme an, dass Sie mit theologischen Fragen nicht allzu vertraut sind, da Ihre Arbeit eine Beschäftigung mit solchen Dingen sicher nicht zuließ. Lassen Sie es mich erklären: Das Böse, so wie wir es bezeichnen, spielte in vergangenen Zeiten immer eine andere Rolle. Sind Sie christlichen Glaubens? Glauben Sie, dass wir durch eine Erbsünde das Böse in uns tragen, sozusagen in Form des freien Willens? Ich glaube es. Es gibt das Böse, das von uns selbst ausgeht, als Gegenstück zum sittlich und moralisch Guten. Und es existiert das nominelle Böse, der Satan, der Dschini, die Dämonen. Jede Religion besitzt Begriffe für diese Form. Nur das Christentum und das Judentum beharren darauf, dass das Böse eine Gott untergeordnete Kraft sein müsse, somit also immer auf der Verliererseite stehen müsse. Denn wenn Gott einzigartig ist und die Welt allein erschaffen hat, kann keine böse Kraft daneben eigenständig gedacht werden. Ihre Freunde des Lilith-Kultes sahen das naturgemäß anders. Sie wollten das Böse, weil es die Kraft des Fortschritts ist, der Veränderung und die treibende Kraft auf dieser Welt. Sie suchten den Kampf mit den Mächten des Guten. Das alles setzt voraus, dass man an etwas Größeres glaubt. Was glauben Sie?«
»Vater, hier bist du ja!«
Köhns Sohn hatte, ohne zu klopfen, ihr Zimmer betreten. Regina sah erleichtert zur Tür, ließ aber die Dokumente unter ihrer Bettdecke verschwinden. »Das scheint eine Macke der Köhns zu sein, unaufgefordert bei Frauen aufzutauchen«, dachte sie.
Der alte Mann sah seinen Sohn mit einer Mischung aus Wut und Ekel an, was diesen aber nicht daran hinderte, weiterhinseinen Charme zu versprühen. »Behandeln wir so unsere Gäste? Verzeihen Sie, Frau Bachmaier. Mein Vater neigt dazu, Dinge, die ihm wichtig erscheinen, selbst in die Hand zu nehmen.«
Arwed Köhn lächelte Regina beschwichtigend an. Er trug einen knappen Sportdress, der seine sehnigen Muskeln betonte. Im nächsten Augenblick schob er sanft, aber bestimmt den Rollstuhl mitsamt seinem Vater aus dem Raum. Er sah sich noch einmal um, verdrehte die Augen, um ihr zu signalisieren, dass der Vater nicht zurechnungsfähig sei, und rief draußen nach seiner Tante. Regina hörte eilige Schritte, leise Vorwürfe, und dann erschien der Sohn wieder im
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