Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
erklären.«
Rohrbrunn, Österreich, 22. 12., 12.10 Uhr
Es dauerte Sekunden, bis Regina und Faruk ihre Sprache wiederfanden. Almut, Ezechiel und Maria, die sich heute Birghid nannte, waren Geschwister. Und Arwed war ihr Schulfreund. Aber vor allem: Sie alle waren die Kinder des toten Nazis Alois Fischer. Almut, mit der Regina in Syrien um das Überleben kämpfte. War das damals alles nur Show? Die Gedanken purzelten in ihrem Kopf umher. Faruk berührte sie vorsichtig. Sie verstand. Sie musste Ruhe bewahren.
Diese schrullige Lehrerin Jelinek hatte ihr fast nebenbei einen entscheidenden Hinweis über die Verstrickungen ihres Auftraggebers gegeben. Das veränderte die Sache völlig.
»Sagen Sie, wissen Sie zufällig, was nach der Schulzeit aus den Kindern wurde?«
Jelinek legte den Kopf in den Nacken und blies Kringel in die Luft, ehe sie antwortete: »Maria machte hier in der Nähe eine Schneiderlehre. Arwed kam auf ein Internat und ist heute irgend so ein Tunichtgut. Ich sah ihn in einer dieser bunten Postillen, er ist wohl so etwas wie ein Playboy.« Sie sprach die Worte aus, als müsse sie kotzen. Dann wieder leuchtete ihr Gesicht. »Antonstudierte Kunstgeschichte. Und Almut hat in Linz und Wien Altertumskunde und Archäologie studiert. Dort hat sie auch gelehrt. Allerdings nicht lange. Dann hat sie geheiratet und einen anderen Namen angenommen, den habe ich vergessen. Vor wenigen Monaten erst ist sie wiedergekommen, völlig verstört. Da war irgendetwas. Ihre Pflegeeltern haben sie, glaube ich, als vermisst gemeldet. Sie war schwanger, glaube ich. Das letzte Mal sah ich sie vor einigen Wochen auf dem Friedhof unten, am Grab vom Fischer, nein, das ist gar nicht wahr. An meinem Geburtstag sah ich sie. An der Bushaltestelle. Da wackelte sie dick und breit, wie sie war, in den Bus nach München mit den Tschuschen, die hier arbeiten.«
Reginas Herz raste. Immer wieder versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. Was hatte das alles zu bedeuten? Etwas Großes, unheimlich Bedrohliches nahm von Regina Besitz. Sie verkrampfte sich regelrecht auf dem Sofa. Faruk bemerkte es. Er musste die Lehrerin ablenken.
»Wie hat es Sie eigentlich hierher verschlagen? Sie scheinen ja den Genüssen der großen weiten Welt zugeneigt zu sein, verbringen aber in dieser, nun, wie soll ich sagen, Ödnis Ihre Zeit.«
Jelinek blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Sie meinen, ich wirke nicht gerade wie eine typische Volksschullehrerin? Aber Sie haben recht, früher lebte ich in Wien, war Teil der Boheme.« Sie gurrte die Worte fast. »Sogar in der Akademie der Künste war ich tätig …« Sie machte eine Pause. »… als Aktmodell.«
Faruk räusperte sich. So genau wollte er es gar nicht wissen. Verlegen wendete er den Blick ab und sah wieder hinaus aus dem Fenster. Jemand rannte die Straße hinauf.
»Hochschwanger fährt die Schwester nach München? Kann man hier denn nicht entbinden?« Regina hatte sich gefangen. Fragen waren gut, bedeuteten Ablenkung, das war sicheres Terrain. Sie atmete tief ein und wieder aus.
»Doch schon, aber vielleicht wollte sie es hier nicht bekommen. Bei dieser Verwandtschaft.«
»Was meinen Sie damit?«
»Na, dieses ganze Nazigeschwerl eben. Mir ist das egal. Meine Koffer sind gepackt. Aber all die Jahre war das nicht einfach.«
Regina verstand nicht. Faruk schien nicht zuzuhören, sondern starrte nur aus dem Fenster. »Nazis hier?«
Jelinek lachte bitter. »Die meisten kamen aus dem KZ Mauthausen. Da waren sie stationiert. Nach dem Krieg kam einer nach dem anderen, kaufte Häuser, Grundstücke, und plötzlich waren sie fast alle hier. Oben auf dem Schloss«, sie zeigte auf die andere Donauseite, »feierten sie einmal im Jahr mit den üblichen Lokalgrößen aller Parteien. Keiner machte was dagegen. Und ihre Kinder erzogen sie, wie Nazis eben so erziehen. Die Almut und der Anton …«
Faruk stand ruckartig auf. Er zeigte nach draußen. Regina trat auf das Fenster zu. Rund 200 Meter entfernt sahen sie eine Person die Straße hinauflaufen und wild gestikulieren. Sie trug eine rote Pudelmütze. Es war Dr. Setner. Sie stoppte und stützte ihre Hände auf die Knie. Sie musste außer Atem sein. Dann lief sie weiter.
»Was will sie denn?«, fragte Regina.
Faruk deutete auf etwas, was tiefer lag. Der Unimog hatte sich in Bewegung gesetzt, schwarzer Rauch blies aus dem über dem Führerhaus liegenden Auspuff. Das Fahrzeug beschleunigte erstaunlich schnell. Statt einer Schaufel war eine Fräsvorrichtung,
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