Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
schätzte es, weil es zwischen Tieren und Menschen unterscheiden konnte. Und noch ehe die fahle Wintersonne ein dämmriges Licht auf die Insel warf, hatte er sie wieder verlassen.
Sie wollte allein mit ihm sein. Und so waren sie mit einem der kleinen Motorschiffe hinüber zur Düne gefahren worden. Jenem sandigen Teil der Insel Helgoland, der sowohl den Flugplatz als auch Hunderte von Robben und Seehunden beheimatete. Einst war dieses Landstück mit der Hauptinsel und ihren roten Klippen vereint. Ein Sturm hatte vor mehreren hundert Jahren die kleine Sandinsel getrennt, die von den Einwohnern nur die»Düne« genannt wurde. Ihre Sicherheitsleute hatten die Insel kurz zuvor geräumt. Kein Mensch sollte sich jetzt am frühen Morgen auf dem nicht einmal einen Quadratkilometer kleinen Eiland befinden. Die Kanzlerin zog den Kragen ihrer rotwattierten Winterjacke hoch und sah zu dem schmalen Franzosen, der, bibbernd und die Arme um seinen dünnen Leib geschlungen, neben ihr auf dem gefrorenen Sand stapfte. Brisecul war das »Wunderkind«, von dem Vogel so viel gehalten hatte. An der medizinischen Fakultät in Lyon hatte ein Professor das gigantische Talent des jungen Gerome Brisecul erkannt. Trotz seiner leichten Behinderung, er litt an einer milden Form des Autismus, schloss er in wenigen Jahren sein Studium der Medizin, der Biochemie sowie der Molekularbiologie ab. Mit 35 Jahren hatte er zwei Doktortitel vorzuweisen. Mit Anfang 40 hatte Brisecul schon die Leitung des berühmten Pasteur-Instituts in Paris übertragen bekommen. Aber das hatte dem schmalen Mann aus der grauen Industriestadt Valenciennes nicht gereicht. Er arbeitete auch für den DGSE , den französischen Geheimdienst. Aber das wusste die Kanzlerin auch. Ihr französischer Amtskollege hatte ihr den jungen Forscher ebenfalls wärmstens empfohlen.
Die Kanzlerin kam ohne Umschweife auf den Punkt. »Was ist falsch an dem neuen Mittel, und wer steckt dahinter?«
Briseculs fast lippenloser Mund war angesichts der kalten Morgenbrise förmlich eingefroren. Und so klangen seine ersten Worte wie die eines Schlaganfallpatienten. »Madame Kanzlerin, wir sind sehr sicher, dass Atropos viel Raum für Spekulationen lässt. Ich hatte vier Forscher auf die Erprobung des Pockenserums angesetzt, an jeweils vier Instituten in Frankreich. Alle vier sind in den vergangenen 48 Stunden gestorben. Einer erhängte sich, ein anderer, so jedenfalls die Gendarmerie vor Ort, soll von seiner Tochter mit einem Messer getötet worden sein, ehe sich diese erschoss. Ein weiterer starb gestern Morgen bei einem Verkehrsunfall. Und der Vierte befand sich in einer Metro, die heute Morgen entgleiste. Alle vier waren den Nebenwirkungen des Mittels auf der Spur. Bei dreien sind die wichtigsten Forschungsergebnisse durch Hackerangriffe zerstört worden …«
Die Kanzlerin nickte und wies in eine Richtung auf den Strand. »Wir gehen dort weiter. Wer weiß noch davon?«
»Über die Toten? Nur Sie, Madame, und der Monsieur le Président. Warum?«
»Was wissen wir noch über die Risiken?«
»Unsere Forschungen waren noch sehr am Anfang. Es bestand noch kein hinreichender Verdacht auf gravierende Mängel bzw. Nebenwirkungen. Aber es gab Indizien. Es ist im gentechnischen Bereich erheblich verändert worden. Wir können nicht wirklich abschließend mögliche Schädigungen oder Veränderungen im Zellbereich bei Menschen belegen. Ich kann aber nur dem verstorbenen Professor Vogel zustimmen. Das Mittel darf nicht ausgeliefert werden.«
Die Kanzlerin schüttelte den Kopf. »Sie wissen, dass wir schon ausliefern. Ich habe diese Entscheidung getroffen, um weiteren Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Selbst Vogel konnte mir keine klaren Risiken skizzieren. Sollte ich etwa noch länger warten und zusehen, wie Tausende von Menschen Woche für Woche sterben? Ich bin selbst Naturwissenschaftlerin, weiß also um die Gefahren, die mit so einer improvisierten Aktion verbunden sind.«
Brisecul spürte, dass sich die Kanzlerin die eigene Angst vom Leib reden wollte. Aber er war eben auch Forscher und musste seine Bedenken benennen können. Er sah einer dicken Robbe zu, wie sie sich schwerfällig ins kalte Wasser rollte.
»Unser Dienst hat eine sehr enge Anbindung der Familie Köhn an die Russen identifizieren können. Es gab und gibt langjährige Zahlungs- und Warenströme zwischen dem Köhn-Konsortium und einzelnen Funktionären der postsowjetischen Nomenklatura.«
Die Kanzlerin wurde etwas unwirsch. »Sie
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