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Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)

Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)

Titel: Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Calsow
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nicht übernehmen. Wie ein Mantra hatte sie sich das immer gesagt. Und jetzt war Jan da. Ein Mediziner. Pragmatisch und kontrolliert. Es gefiel ihr. Auch weil für Jan nach dem Tod seines Sohnes ein weiteres Kind nicht mehr in Frage kam. Sie hatten einmal vor dem Einschlafen leise im Dunkel der Nacht darüber geredet. Jan hatte bei der Erinnerung an den Unfall seines Kindes still geweint und dann leise festgestellt, dass das Thema für ihn abgeschlossen sei. Sie hatte damals Erleichterung verspürt und war zudem zu scheu gewesen, um ihn zu trösten. Und so waren sie mit der stillen Übereinkunft, keine Kinder haben zu wollen, eingeschlafen. Aber jetzt schlich sich seit einigen Stunden ein anderes Gefühl in ihre Welt. Da draußen starben die Menschen, und diese Tatsache ließ einen fast archaischen Traum in ihr entstehen. Es war, als ob jemand oder etwas an der Tür zu ihrer Seele klopfte …
    »Ich bin überrascht, Sie meditieren zu sehen«, kam leise, aber dennoch spöttisch eine Stimme von hinten.
    Sie öffnete langsam die Augen. Regina hatte Ivans Anwesenheit schon länger gespürt, ihm aber nicht die Freude der Überraschung nehmen wollen.
    »Leisten Sie mir Gesellschaft, Ivan.« Sie legte ihre Hand auf ihre rechte Seite.
    Er hatte Wasser gekocht und goss sich und ihr eine Tasse grünen Tee ein. »Sie dürfen nie zu heißes Wasser darauf gießen, das ist schlecht für die Entfaltung des Aromas. Lassen Sie ihn maximal zwei Minuten ziehen …«
    Sie lächelte ihn an.
    »Danke, Ivan. Ich trinke nur Tee, nie Kaffee. Es ist ein Vorurteil, dass Polizisten immer nur rauchen und Kaffee aus Automaten trinken.«
    Zum ersten Mal lächelte er zurück. Er schnaufte, als er es selbst bemerkte.
    »Haben Sie geschlafen, Ivan?«
    Er rieb sich die kleinen Augen, die tief in seinem Gesicht lagen. »Nein, aber ich habe ein wenig nachgedacht.« Er gähnte dezent. Seine Haare standen wirr vom Kopf ab, mit einer fahrigen Bewegung versuchte er sie zu bändigen, was ihm nur mäßig gelang. Die feine Teetasse aus China wirkte zwischen seinen wulstigen Fingern wie eine Spielzeugtasse. »Sagen Sie, Regina, an was glauben Sie?«
    Sie stutzte. Mit einer solchen Frage hatte sie am frühen Morgen nicht gerechnet.
    »Ich meine, Sie haben im Nahen Osten mit fanatischen Gläubigen gekämpft. Jetzt ist es eine Sekte. Wie steht es mit Ihrem eigenen Glauben?«
    Er schien wirklich interessiert zu sein. Sie zog die Beine an die Brust und umschlang sie mit ihren Armen. Sie dachte nach. Gott war ihr immer in Gestalt dieser jämmerlichen, an einem Kreuz festgenagelten Figur präsentiert worden. Den sollte sie anbeten. Er schien ihr tot. So wie alles, was da in der Kirche hing und erzählt wurde. Ihre frühesten Erinnerungen an Glauben waren drückende Stille, feuchte Kälte und der Mundgeruch alter Damen. Wenn sie im Winter den langen Weg hinunter ins Tal gingen, schwiegen sie alle. Der Vater stapfte meist vornweg, um zu spuren. Unten saß er mit den Bauern in der alten Kirche auf der rechten Seite, die Kinder mit der Mutter auf der linken Seite.Sie musste ihre Hände zusammendrücken. Das sollte Beten sein. Aber glauben konnte sie nicht. Danach verschwand ihr Vater immer im Wirtshaus. Er kam nie rechtzeitig zum Mittagessen hoch auf den Berg. Meist war er betrunken, schlug seine Frau oder die Kinder, je nach Verfügbarkeit und Laune. So verlor ihr Bruder seine vorderen Zähne und sie den Glauben, dass es einmal gut werden würde. Später bei der Polizei sah sie nur Elend, selten Glück. Woran also sollte sie glauben? An die Gerechtigkeit? An die Liebe eines Gottes zu den von ihm geschaffenen Menschen? An einen Gott, der zuließ, dass Babys in Mikrowellen gesteckt, Töchter jahrelang in Kellern gehalten und Menschen zersägt und achtlos in die Donau geworfen wurden? Ihre Augen hatten jahrelang nur in den Abgrund gesehen. Seit dieser Zeit gab es für sie nur Leben und Überleben. Dazwischen ein wenig Freude. Und am Ende wartete der Tod, früher oder später. Endlich Ruhe und Stille. Es gab Momente in den vergangenen Jahren, da hatte sie sich nach dieser Stille gesehnt. Ein letzter Atemzug und dann Ruhe. Das alles sagte sie Ivan, während langsam und müde die kalte Sonne an diesem klaren Wintertag über dem Main aufzog.
    »Sie lieben das Leben nicht?« Er war von ihren Berichten innerlich schockiert, ließ es sich aber nicht anmerken.
    Sie fuhr fort: »Ich liebe die Momente kurzen Glücks. Das ist schon viel. Mein letzter Fall war eine 22-jährige

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