Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
schon umgedreht und war auf den alten Rasthof zugegangen. Jan entschied sich in der Sekunde, als der Soldat im Haus verschwunden war. Er schob den ersten Gang ein, drückte auf das Gaspedal und fuhr los. Der Soldat rannte heraus, legte an und schoss zwei kurze Salven auf den LKW . Jan fuhr zusammen, etwas war in seine Seite gefahren. Er griff dorthin und spürte das herauslaufende Blut. Er war getroffen. Sofort überkam ihn Panik. Der Schmerz raubte ihm fast den Atem. Dennoch fuhr er mit zunehmender Geschwindigkeit aufden Kontrollpunkt zu. Der bestand aus nicht mehr als vier Ölfässern, die auf der Straße standen, und an der Seite hatte man zwei Schützenpanzer vom Typ Marder postiert. Aber seine Fahrbahnseite war frei. Auf der anderen Seite hatten sich Schlangen mit Einreisewilligen gebildet. So rauschte er an verdutzten Soldaten vorbei und war in wenigen Augenblicken auf bayerischem Boden. Nach fünf Kilometern fuhr er in einen Waldweg und untersuchte die Wunde. Das Geschoss musste durch die Wagentür gekommen sein und war dann mit verminderter Wucht unterhalb seines Rippenbogens in die Seite eingedrungen und dahinter wieder ausgetreten. Er verband sich mit Material aus einem fragwürdigen alten Verbandskasten und setzte die Fahrt fort. Trotz des schlechten Wetters kam er bis zur Mittagszeit gut voran. Aber dann wurde das Schneetreiben immer dichter. Er hatte bewusst die größeren Straßen gemieden und stattdessen die zwar nicht geräumten, dafür aber kaum kontrollierten Straßen durch die Rhön gewählt. Immer wieder war der LKW steckengeblieben, und er hatte, trotz seiner immer noch blutenden Wunde, die Zwillingsreifen freischaufeln müssen. Er hatte gerade Münnerstadt passiert, als er nur noch dichtes Weiß gesehen und in einem Moment der Müdigkeit das Lenkrad verrissen hatte. Knirschend war der LKW mit der rechten Seite in den Graben gerutscht. Er hatte noch scharf gebremst. Unter großen Schmerzen war Jan ausgestiegen und hatte gesehen, dass der Wagen unrettbar in tiefen Schneewehen versunken war. Dieser Anblick hatte ihm alle Hoffnung genommen. Er würde nicht mehr lange auf den Beinen stehen können. Der Blutverlust war zu groß. Er hatte die Standheizung des LKW angestellt und sich in den Schnee gelegt. Und so lag er da. So hatte er sterben wollen.
Der Vogel hackte immer noch auf den menschlichen Arm ein. Zwischendurch umspannte er mit seinen großen schwarzen Flügeln das Stück Fleisch, als ob er es beschützen wollte, statt es mit stetigem Hacken aufzureißen. Das Hacken verursachte ein regelmäßiges Geräusch, das Jan auf eine sonderbare Weise beruhigte. Sein Atem ging jetzt stoßweise. Es konnte nicht mehrlange dauern. Seine Beine spürte er schon nicht mehr. Er erfreute sich an dem plötzlichen Blau des Himmels. Selbst wenn Rottershausen nun wenige Meter entfernt war. Er war gescheitert. Dann sollte er eben hier sterben. Er hörte auf das langsame Pochen seines Blutes im Ohr. Bald war es vorbei.
Etwas knirschte neben ihm. Es war ihm egal. Metall klappte. Er wollte sich nicht mehr umdrehen. Sollten sie ihn eben hier töten. Ob nun die Kälte oder diese Bestien, die eben noch brave Bürger waren. Er schloss die Augen.
»Du bist gerettet, kleine Frostbeule.«
Jan lächelte. Das waren Halluzinationen. Er genoss es. Er glaubte zu spüren, dass jemand ihn trug. Er hörte noch, wie jemand vorwurfsvoll mit ihm sprach.
»Dich kann man auch nicht allein aus dem Haus lassen. Übrigens, welches sind die drei größten Popsongs aller Zeiten?«
Es dauerte Ewigkeiten, bis er begriff, dass es Realität war. Und diese Realität hatte einen Namen: Elijah.
Er besaß nur noch die Kraft, um zu sagen: »Meine Nichte liegt im LKW , hol sie … und … Hey Jude …«
Dann glitt er hinüber in einen tiefen Schlaf.
Wien, Österreich, 20. 12., 08.45 Uhr
Faruk verdrehte die Augen. Warum musste sie auch halbnackt vor ihm auf und ab laufen? Nur ein schmales Handtuch verdeckte ihren Körper bis zu den Oberschenkeln. Ihr nasses blondes Haar hatte sie ebenfalls unter ein großes Handtuch gewickelt. Seine Schmerzen wurden langsam von den Medikamenten betäubt. Aber ruhiger wurde er bei diesem Anblick nicht. Sie verarztete ungerührt seine Wunden, während Faruk mit unbewegtem Gesicht auf dem Sofa saß, in der Hand einen Becher mit Kamillentee. In den Becher war eine stilisierte Kobra eingraviert, ein Hinweis auf Reginas Vergangenheit bei dem österreichischen Spezialkommando. Seit er in Deutschland angekommen
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