Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
drückte die Frau und ihren Sohn in das Führerhaus, rannte um den LKW herum und startete den Wagen. Der LKW schüttelte sich, die großen Reifen knirschten nur langsam durch den neuen und mittlerweile tiefen Schnee. Der Fahrer war ihm jetzt egal. Sie mussten so schnell wie möglich verschwinden, wenn sie nicht in wenigen Stunden wieder in einem Lager vegetieren und auf den Tod warten wollten.
Und als der Dekontaminationszug des dritten Panzergrenadier-Bataillons aus Kassel den kroatischen Fahrer aufnahm, war der Kipplaster schon zu weit entfernt. Der Kommandeur des Zugs entschied, dass sich die Grenztruppen darum kümmern sollten, und gab eine Fahndung per Funk an die Kameraden in Fulda weiter. Doch Jan dachte nicht daran, auf der Autobahn wieder in die Fänge der Sicherheitskräfte zu geraten. Zudem war der LKW mit Funk ausgestattet, so dass er die ersten Befehle zur Suche mithören konnte. Er verließ die Autobahn und erreichte über verschiedene Landstraßen, die angesichts des akuten Personalmangels nicht abgesperrt und gesichert waren, bald das hessisch-bayerische Grenzgebiet nördlich der Stadt Gersfeld.
Jan hatte der Frau seine Fluchtgeschichte in leisen Worten erzählt. Hinter ihm schlief seine Nichte neben dem Sohn der Frau. Beide hatten starkes Fieber und halluzinierten immer wieder. Die Frau hatte wortlos zugehört und genickt.
»Und Sie?«, hatte er gefragt.
»Ein evangelischer Pfarrer aus Bielefeld hat die Fahrt organisiert. Er glaubte fest daran, sagte er. Er hat von jedem einen hohen Betrag kassiert und war am Abreisetag plötzlich verschwunden. Jemand aus der Gruppe beschaffte dann den Bus, und so fuhren wir illegal Richtung Bayern. Dann ging der Sprit aus …«
Jan verstand. »Sie sind auch allein. Warum?«
Sie strich sich über das Gesicht. Müde antwortete sie: »DerVater meines Sohnes hat Angst bekommen, nachdem wir die Diagnose erfahren haben. Er hat heimlich seine Koffer gepackt und ist wohl als einer der Letzten noch ausgereist. Er hat uns einfach sitzenlassen.«
Sie weinte still.
»Seine Angst war wohl zu groß«, versuchte Jan sie zu trösten.
»Lässt man deshalb seine Familie im Stich?«, fragte sie schluchzend.
Er schüttelte nur den Kopf. Er durfte das Leid der Frau nicht an sich heranlassen. Schließlich hatte er schon genug Elend zu schultern. Er wollte ablenken. »Da vorn ist Wildflecken. Ein Truppenübungsplatz der Amis. Elvis Presley hat hier einige Wochen verbracht.«
»Woher wissen Sie das?«
Zum ersten Mal seit Tagen schmunzelte Jan. Der King war einst das Hobby seines Vaters gewesen. Er hatte alles über ihn gesammelt. Ganze Sonntage hatte er in seinem Kellerraum mit all den Devotionalien und Platten verbracht, bis Jans Mutter ihn an seine Vaterpflichten erinnerte. Doch dies war eine Geschichte aus einem anderen Leben.
Jans Plan war, in einem kleinen Dorf nahe der Grenze erst einmal die Lage auszukundschaften, um dann sogar gegebenenfalls mit dem LKW hinüberzufahren. Wenn das nicht möglich wäre, müsste er mit Martha zu Fuß nach Rottershausen gelangen. Nach seinen Berechnungen waren es noch knapp 50 Kilometer. Vielleicht nähme sie auch jemand mit. Ohne Zwischenfall erreichten sie das Dorf Rodenbach. Es lag in einer Senke. Jan steuerte den Wagen durch das verlassen wirkende Dorf. Hunde schlugen an. Die Eingangstüren und Fenster zur Straße waren allesamt mit großen Brettern vernagelt. Warnschilder machten darauf aufmerksam, dass Plünderer erschossen würden. Am Ortsausgang hing an einem kahlen Obstbaum die steifgefrorene Leiche eines Teenagers. Er trug ein Schild mit der Aufschrift »Ich war ein Plünderer«. Etwas oberhalb des Dorfes sahen sie Lichter auf einem Anwesen. Sie konnten ein wenig Ruhe gebrauchen. Vielleicht ließ der Bauer sie ja zumindest vor seinem Hof rasten.Es blieb wenig Zeit. Er hatte mit Elijah ausgemacht, dass sie sich spätestens 48 Stunden nach ihrer Verabschiedung in Seligenstadt in Rottershausen treffen würden.
Er steuerte langsam auf den Vorplatz des Bauernhofs zu. Kaum hatte er den Motor ausgestellt, hörte er schon das laute Bellen mehrerer Hunde.
»Verdammt, Scheißhunde«, fluchte die Frau.
Jan sah beschwichtigend zu ihr. »Wir sind unverdächtig. Wir lassen die Kinder hinten schlafen, gehen rein und fragen nach dem Weg. Sie dürften keine Angst haben, wir kommen schließlich aus der gesunden Zone.«
Sie nickte unwillig. Er sprang vom Führerhaus, und sofort sah er sich zwei ausgewachsenen Rottweilern gegenüber, die ihn
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