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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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gehabt, hätte er sie gern alle in die Hand genommen und über ihren Gebrauch spekuliert. Wie eigentümlich sanft ein Rasierpinsel aus Dachshaar über die Haut strich und wie wunderbar ein Stück Seife roch. Doch die Gegenwart des Todes und die gebotene Eile dämpften schon bald seine Neugier, und so wählte er nur noch das aus, was in den Rucksack passte, den er ebenfalls gefunden hatte: Messer, ein Fernrohr, ein fabelhaftes Instrument, mit dem er einmal Bosco auf den Zinnen der Burg gesehen hatte, ein Schleifstein für Picarbos Sezierbesteck, ein Beutel aus Tuch, Heilpflanzen zur Wundbehandlung, feine Nähnadeln, Zwirn, ein Knäuel Schnur. Er durchsuchte auch die Wandschränke, aber in den meisten standen nur Schalen mit Präparaten aus weiblichen Körpern. Vieles gab Cale Rätsel auf. Nicht dass er nach einer Rechtfertigung für den Mord an Picarbo gesucht hätte, einen Mann, der, wie Cale aus eigener Anschauung wusste, vielen Zöglingen schreckliche Körperstrafen verabreicht und einmal sogar einen Jungen getötet hatte. Doch die sorgfältig präparierten Körperteile lösten in ihm Ekel und Schrecken aus.
    Dann drückte er die Türklinke zu einem angrenzenden Zimmer, wobei er es vermied, zu dem unglücklichen Mädchen auf dem Seziertisch zu blicken.
    Kaum hatte er die Tür geöffnet, da schlug ihm ein ranziger Priestergeruch entgegen. Auch früher schon, immer wenn er sich mit mehr als zwei Mönchen im selben Raum befunden hatte, war ihm aufgefallen, dass sie merkwürdig rochen. In diesem Zimmer aber schienen sogar die Wände diesen ranzigen Geruch auszudünsten, so als wäre alles hier im Zustand der Verwesung. Schnell schloss er die Tür wieder.
    Obwohl er die Leiche nicht ansehen wollte, zog ihn etwas an. Er warf einen kurzen Blick auf die medizinisch akkurat ausgeführte Verstümmelung des schönen Mädchenkörpers. Er empfand ein tiefes Bedauern, dass etwas so Zartes und Sanftes so barbarisch verwüstet worden war. Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den kleinen harten Gegenstand, den der Zuchtmeister aus dem Bauch des Opfers entfernt und in eine Metallschale gelegt hatte. Es war weder aus Knochen noch sah es gruselig aus, vielmehr hatte es die Form und die Festigkeit eines kleinen Kieselsteines, der durch langes Liegen in einem fließenden Gewässer glatt poliert worden war. Es war milchig durchscheinend und von dunkelbrauner Farbe. Erst berührte er es vorsichtig mit dem Zeigefinger, dann nahm er es in die Hand und schaute es sich genau an. Er roch auch daran, wurde aber von dem Geruch fast überwältigt, ihm war, als dringe der Zauberduft bis in jede Windung seines Gehirns. Eine Weile stand er reglos und wie betäubt da. Doch er musste weiter. Er seufzte tief und suchte noch einige Sachen zusammen, von denen er glaubte, dass sie nützlich sein könnten, oder solche, die ihm einfach gefielen. Nachdem er alles im Rucksack verstaut hatte, verließ er das Zimmer und begab sich auf den Rückweg zu seinem Versteck.

SIEBTES KAPITEL
    S eit nun schon fast zwei Jahren plante Cale seine Flucht. Nicht dass er ernstlich daran gedacht hatte, den Plan je in die Tat umzusetzen, denn die Erfolgschancen waren gering. Die Erlösermönche ließen nichts unversucht, um Ausreißer wieder einzufangen, die dann zur Strafe gehenkt, gerädert und gevierteilt wurden. Soweit Cale wusste, war noch nie jemand den Hunden des Paradieses entkommen. Daher setzte sein langfristiger Fluchtplan Geduld voraus. Er wollte warten, bis er mit zwanzig an die Front geschickt wurde und dort eine passende Gelegenheit fand. Und doch, sagte er sich, tut man gut daran, vorbereitet zu sein. Während er den Wandelgang entlangschlich, dachte er möglichst nicht an ihre Erfolgschancen. Grollend fragte er sich, warum er das Mädchen gerettet hatte. Das war eigentlich sinnlos. Damit hatte er sich den fast sicheren eigenen Tod und, wiewohl in geringerem Grade, den Tod von Henri und Kleist eingehandelt. So eine Dummheit! Um sich zu beruhigen, atmete er tief durch. Aber sie hatte vergangene Nacht so glücklich ausgesehen, ihr Lächeln war so... ja, wie eigentlich? Er wusste nicht recht, wie er einen glücklichen Menschen beschreiben sollte, obwohl er es mit eigenen Augen gesehen hatte. Daran dachte er, während ihm die Bilder von den Grausamkeiten, die er im Zimmer des Zuchtmeisters gesehen hatte, nicht aus dem Kopf gingen. Ein schrecklicher Zorn hatte ihn ergriffen, ein Gefühl, das er von früher kannte, aber zum ersten Mal in seinem Leben hatte er

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