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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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aufgeschnittenen Haut- und Muskelpartien mit Gewichten versehen. Cale hatte in seinem Leben schon viele Leichen gesehen, aber was ihn so aus der Fassung brachte, war außer dem Anblick eines geöffneten Körpers vor allem die Tatsache, dass es sich hier um ein Mädchen handelte und dass sie noch nicht tot war. Ihre linke Hand, die über den Rand des Tisches hing, zuckte alle paar Sekunden, während der Zuchtmeister summend in der Schublade kramte.
    Cale hatte das Gefühl, als würden Spinnen über seinen Rücken laufen. Plötzlich hörte er ein Stöhnen. Es schien von dem anderen Tisch zu kommen. Und tatsächlich lag dort noch ein Mädchen, das, obwohl gefesselt und geknebelt, zu schreien versuchte. Cale kam sie bekannt vor. Es war das Auffälligere der beiden Mädchen, die, ganz in Weiß gekleidet, tags zuvor im Mittelpunkt der ausgelassenen Feier gestanden hatten.
    Der Zuchtmeister hörte zu summen auf und schaute zu ihr herüber.
    »Still, mein Kind«, sagte er fast sanft. Dann beugte er sich wieder über die Schublade und kramte summend weiter.
    Cale hatte schon viel Schreckliches in seinem kurzen Leben ansehen müssen und unbeschreibliche Leiden durchgemacht. Aber was er dort sah, überstieg alles Bisherige. Das bei lebendigem Leib sezierte Mädchen, ihre nur noch leicht zuckende Hand, die ganze Situation war ihm unbegreiflich. Ganz langsam zog er sich aus dem Zimmer zurück und stahl sich so leise davon, wie er gekommen war.

FÜNFTES KAPITEL
    A h!«, sagte Picarbo, der Zuchtmeister des Erlöserordens, mit großer Befriedigung zu sich selbst, als er endlich fand, wonach er gesucht hatte, ein merkwürdiges Instrument mit scharfen Scheren. »Gelobt sei Gott.« Er überprüfte den Mechanismus.
    Erleichtert kehrte er zu dem Mädchen auf dem Tisch zurück und betrachtete nachdenklich die schreckliche, aber kunstvoll geöffnete Wunde. Er ergriff behutsam ihre Hand, die mittlerweile leblos herabhing, und legte sie längs ihres Körpers. Dann nahm er die Schere und wollte schon weitermachen, als das Mädchen in der dunklen Ecke wieder zu schreien versuchte. Diesmal sprach er in entschiedenem Ton, so als ob ihm der Geduldsfaden gerissen wäre.
    »Ich habe doch gesagt, sei still.« Und lächelnd: »Keine Sorge, ich kümmere mich schon noch um dich.«
    Hatte er etwas gehört oder war es ein Reflex aus langer Kampferfahrung, auf jeden Fall wandte sich der Zuchtmeister ruckartig um und hob abwehrend die Hand, als Cale zum Schlag auf seinen Hinterkopf ausholte. Der Mönch traf Cale mit solcher Wucht in Höhe des Handgelenks, dass der halbe Ziegelstein in seiner Hand durch den Raum geschleudert wurde und krachend und splitternd in einen Schrank einschlug. Cale verlor das Gleichgewicht, der Zuchtmeister versetzte ihm einen heftigen Stoß, sodass er nach links gegen den hinteren Tisch schlitterte, auf dem das gefesselte und geknebelte Mädchen lag. Abermals ließ sie einen gedämpften Schrei vernehmen.
    Entgeistert starrte der Zuchtmeister Cale an. Es war unvorstellbar, dass ein Zögling ihn angreifen könnte, noch dazu in seinen Gemächern. Von so etwas hatte man in tausend Jahren nicht gehört.
    »Bist du wahnsinnig? Was hast du hier zu suchen?«, fauchte ihn der Mönch an. »Dafür wirst du gehenkt... gehenkt und gevierteilt. Du wirst stranguliert, ausgenommen und während du noch atmest, wird man deine Gedärme vor deinen Augen verbrennen. Du wirst...«
    Er hielt in seinem Redeschwall inne, als ihm die ganze Ungeheuerlichkeit, Ziel eines Angriffs geworden zu sein, zu Bewusstsein kam. Cale war bleich vor Schock. Der Zuchtmeister griff nach etwas, das wie ein Schlachtermesser aussah, und tatsächlich war es auch eins.
    »Nein, ich tue es selbst und auf der Stelle, du kleines Aas.« Er schritt auf den am Boden liegenden Jungen zu und baute sich, die Beine gespreizt, mit erhobenem Messer über ihm auf. Im gleichen Augenblick rammte Cale ihm das Sezierinstrument, das der Mönch im Kampf fallen gelassen hatte, in die Innenseite des Oberschenkels.
    Der Mönch wankte zurück, nicht wegen der Verletzung, sondern aus noch größerer Verblüffung über den Angriff.
    »Du hast zugestochen!«, rief er aus. Ungläubige Verwunderung. »Du hast zugestochen! Weiß Gott, du wirst langsam sterben. Bei allem, was...« Er brach mitten im Satz ab und machte ein verdutztes Gesicht, als hätte man ihm eine schwierige Frage gestellt. Er legte den Kopf schief, wie wenn er auf etwas horchte.
    Er setzte sich langsam auf einen Stuhl und schaute dabei

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