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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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später war er fertig mit seiner Erzählung und zündete die Kerze wieder an.
    Die beiden Jungen starrten abwechselnd Cale und das Mädchen an, bestürzt über das Gehörte und zugleich fasziniert von dem Mädchen. Kleist brauchte eine Weile, um sich wieder zu fassen.
    »Du allein hast ihn umgebracht, Cale – warum willst du uns da hineinziehen?«
    »Denk doch mal nach. Sobald sie merken, dass ich es gewesen bin, werden sie Henri foltern, weil sie wissen, dass wir Freunde sind. Und von Henri kommen sie auf dich. Mit uns hast du immerhin eine Chance.«
    »Aber ich habe damit doch gar nichts zu tun.«
    »Das spielt keine Rolle. Man hat dich in den letzten Tagen mindestens zweimal mit mir im Gespräch gesehen. Sie werden dich umbringen, um ein Exempel zu statuieren und um auf der sicheren Seite zu sein.«
    »Heißt das, du hast einen Plan?«, fragte Vague Henri. Er hatte Angst und versuchte, sich selbst zu beruhigen.
    »Ja«, sagte Cale. »Vermutlich wird er schiefgehen, aber wir haben eine Chance.« Wieder blies er die Kerze aus und erläuterte den anderen, was er sich ausgedacht hatte.
    »Du hast ganz Recht«, urteilte Kleist am Schluss. »Der Plan wird wahrscheinlich schiefgehen.«
    »Wenn du etwas Besseres anzubieten hast...« Cale beendete den Satz nicht. Er zündete die Kerze wieder an und hielt sie in die Nähe des Mädchens, das zitternd und sich selbst umarmend ins Leere starrte.
    »Wie heißt du?«, fragte Cale. Sie schien ihn erst gar nicht zu hören, dann richtete sie die Augen auf ihn, blieb aber stumm.
    »Armes Ding«, sagte Vague Henri.
    »Was bedeutet sie dir, dass du dir um sie Sorgen machst?«, fragte Kleist bitter. Er war zwischen der eigenen Furcht und dem Anblick des in der Ecke kauernden, fremden Geschöpfes hin- und hergerissen. »Du solltest dir um dich Sorgen machen.«
    Cale stand auf, überließ Henri die Kerze und ging zur Tür.
    »Jetzt«, sagte er.
    Henri blies die Kerze aus. Die Tür ging knarrend auf und wieder zu, dann blieben Vague Henri, Kleist und das Mädchen in völliger Dunkelheit zurück.

    Während Cale zum dritten Mal in dieser Nacht die Ordensburg durchquerte, ließ der Schock über die Ereignisse allmählich nach. Zwar achtete er darauf, stets im Schatten zu bleiben, aber er war doch viel ruhiger. Was er sich in seinem bisherigen Leben angewöhnt hatte – das Bewusstsein, immer beobachtet zu werden, stets auf der Hut vor Verfolgern und Denunzianten zu sein -, galt nun nicht mehr. Die Mönche gingen von der – begründeten – Annahme aus, die Zöglinge so systematisch zu überwachen und Verstöße gegen die Regeln so gnadenlos zu ahnden, dass Ordnung unter ihnen herrschte. Sie nahmen ferner an, dass sie sich nachts gegenüber den Zöglingen, die in der Furcht vor den Konsequenzen eines Ausbruchsversuches lebten und zudem in den Schlafsälen eingesperrt waren, eine gewisse Laxheit erlauben durften. So kam es, dass Cale nur einen einzigen Wache stehenden Mönch und auch nur aus der Ferne zu sehen bekam.
    Eine nie gekannte Begeisterung durchströmte Cale. Die Ordensgewaltigen, die er hasste und die er bisher für so mächtig und unverwundbar gehalten hatte, waren es gar nicht. Er hatte Bosco überlistet, den Zuchtmeister getötet und nun bewegte er sich ungestraft durch die nächtliche Burg. Doch eine Stimme in seinem Innern warnte ihn, nicht übermütig zu werden: »Sei wachsam oder du wirst dafür baumeln.«
    So dreist es auch scheinen mochte, nach reiflicher Überlegung sprach alles dafür, in die Gemächer des Zuchtmeisters zurückzukehren. Beim Weggehen hatte er schon ein paar Sachen mitgenommen, doch wenn sie zu viert draußen in der Welt eine Chance haben wollten, dann brauchten sie... ja, was eigentlich. So genau wusste er es selbst nicht, aber sicher fanden sich viele Sachen im Zimmer des Toten, die ihnen nützlich sein könnten. Folglich wäre es töricht, hier nicht zuzugreifen. Mit etwas Glück hatten sie weitere vier Stunden vor sich, ehe man den toten Zuchtmeister entdecken würde.
    Zehn Minuten später stand er erneut vor Picarbos Leiche. Eine Weile dachte er nach, dann machte er sich an die Suche. Für ihn war das etwas ganz Neues, denn es gab hier so viel zu erbeuten. Zöglinge durften überhaupt nichts Eigenes besitzen. Auch Mönche sollten eigentlich nur sieben Sachen ihr Eigen nennen, warum gerade sieben und nicht acht oder sechs war wieder so ein Rätsel. Picarbos Gemächer aber waren vollgestopft mit Dingen, die Cale gar nicht kannte. Hätte er Zeit

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