Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
Vom Netzwerk:
dem Feldwebel und dem Korporal zu, die mit geduldiger Miene darauf warteten, ihrerseits dranzukommen.
    »Du da, Fettbacke«, bellte er den Feldwebel an. »Und du«, jetzt an den deutlich schmaleren Korporal gewandt, »Hungertuch. Nehmt zehn eurer besten Männer und stöbert mir diesen Halunken IdrisPukke auf. Und wenn ihr ohne ihn zurückkommt, bringt euer Abendessen mit, denn wenn ich mit euch fertig bin, braucht ihr das dringend.« Dann stampfte er zu seinem Zelt. »Und verhört die Gefangenen«, rief er ihnen über die Schulter zu.
    Der Feldwebel stieß verächtlich die Luft aus. »Korporal, Ihr habt gehört, was der Hauptmann gesagt hat.«
    Der Korporal trat zu den Jungen, die nun vor dem Fuhrwerk saßen, die Knie schützend angezogen und mit dem Rücken gegen ein Rad gelehnt.
    »Wisst ihr etwas über die Flucht des Gefangenen?«
    »Nein«, erwiderte ein wütender, aber verschreckter Kleist.
    »Der Gefangene sagt nein«, berichtete der Korporal seinem Vorgesetzten.
    »Fragt ihn, ob er sich sicher ist.«
    »Bist du dir sicher?«
    »Ja«, sagte Kleist. »Warum um alles in der Welt sollte er uns sagen, wohin er flüchten wollte?«
    »Seine Antwort leuchtet ein, Herr Feldwebel.«
    »Ja«, gab der Feldwebel gequält zu. »Das leuchtet ein.« Und nach kurzer Bedenkzeit: »Stellt eine Abteilung zusammen und weckt den Späher Calhoun. Abmarsch in zehn Minuten.«
    Die Wachsoldaten, die eben noch Riba und die Jungen umgeben hatten, zerstreuten sich und ließen die vier allein zurück, als wäre nichts geschehen. Riba kniete sich neben die Jungen und schaute sie mit aufrichtigem Mitgefühl an – etwas, was die Jungen aber kaum würdigten. Erstens taten ihnen vor allem die blauen Flecke weh, und zweitens verstanden sie nicht, dass Riba wirklich ihren Schmerz teilen konnte. Alle außer vielleicht Vague Henri, denn in der gemeinsam in den Scablands verbrachten Woche hatte er sich einmal, als sie auf einen kleinen Bach stießen, bei entblößtem Oberkörper gewaschen. Dabei war ihm aufgefallen, wie Riba verstohlen seinen Rücken mit den vielen Narben betrachtet hatte. Obwohl er vorher nie weibliches Mitgefühl erlebt hatte, war er für diese still wirkende Macht irgendwie empfänglich.
    Bewegung kam in das ganze Lager. Man gab den Gefangenen Haferbrei zu essen, dann begann der allgemeine Aufbruch. Ehe Riba von ihnen getrennt wurde, flüsterte sie ganz aufgeregt, dass sie alle in zwei Tagen in Memphis sein würden. Ungewiss, welcher Empfang sie erwartete, vermochten die Jungen Ribas Begeisterung nicht zu teilen.
    Kleist wandte sich an sie: »Der alte Mann, den wir ausbuddeln wollten, ist er tot?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Dann mach dich einmal nützlich und finde es heraus«, raunzte Kleist.
    Ribas Pupillen weiteten sich bei diesem Rüffel, fast hätte sie geweint.
    »Lass sie in Ruhe«, sagte Vague Henri.
    »Wieso?«, erwiderte Kleist. »Man wird uns hängen, wenn er stirbt. Also kann sie, wenn sie schon auf ihrem dicken Hintern nach Memphis reiten darf, doch ruhig etwas Nützliches für uns in Erfahrung bringen.«
    Die Tränen in Ribas Augen wichen heller Empörung. »Warum sagst du dauernd, ich sei dick? Das erwartet man doch von mir.«
    »Schluss mit der Streiterei«, fuhr Cale ungehalten dazwischen. »Kleist – lass sie jetzt in Ruhe. Und du – finde heraus, was mit dem alten Mann los ist.«
    Riba warf einen wütenden Blick auf Cale, sagte aber nichts.
    »Geh oder stirb! Geh oder stirb!« So riefen die Korporale, doch die Drohung war gegenstandslos geworden, denn dieser Ruf erscholl jedes Mal, wenn das Lager abgebrochen wurde und die Truppe weitermarschierte. Das Fuhrwerk, an das die Jungen gefesselt waren, setzte sich langsam in Bewegung, eine wütende Riba hinter sich lassend. Im Laufe des Tages kam sie, immer noch verstimmt, wieder zu ihnen und teilte ihnen ganz beiläufig mit: »Er ist am Leben.«
    Irgendwann endete die Ödnis der Scablands. Aus den Hügeln mit kümmerlichem Pflanzenwuchs, Fels und grobem Sand wurde eine grüne, fruchtbare Ebene, in der schon verstreut die ersten Gehöfte, Häuser und Tagelöhnerkaten zu sehen waren. Hinter Hecken und Baumgruppen tauchten Leute auf, die neugierige Blicke auf sie warfen. Der Anblick der Soldaten und Gefangenen weckte ihre Aufmerksamkeit, aber nach kurzem Hinsehen machten sich alle, die Kinder ausgenommen, wieder an die Arbeit.
    Im Laufe des Tages und am folgenden Tag nahm die Zahl der Häuser und der Menschen immer mehr zu. Zuerst Dörfer, dann Städte und

Weitere Kostenlose Bücher