Die linke Hand Gottes
schaute er zu Kleist hinüber, »ich wünschte, er hätte den Rat angenommen.«
»Ihr hättet kein Abendbrot bekommen.«
IdrisPukke lachte leise. »Nicht sehr großzügig – zwei Stück Brot gegen drei Menschenleben. Ich finde, ihr seid mir noch etwas schuldig.«
»Wir können für Euch nichts tun«, sagte Henri.
»Jetzt wohl nicht. Aber später könnte ich darauf zurückkommen. Ich hoffe doch, dass ihr Männer von Ehre seid.«
Cale lachte.
»Und Ihr, seid Ihr ein Ehrenmann?«
»Dir wäre das Lachen schon längst vergangen, wäre ich keiner.«
Vague Henri fand es an der Zeit, das Thema zu wechseln.
»Was werden sie Eurer Meinung nach mit uns machen?«
IdrisPukke zuckte die Schultern. »Sie bringen euch nach Memphis. Wenn Vipond die Reise überlebt, wird euch nichts geschehen.« Und lächelnd fügte er hinzu: »Solange ihr bei eurer Version der Geschichte bleibt.«
»Und wenn er nicht überlebt?«, wollte Vague Henri wissen.
»Kommt drauf an. Sie könnten euch vor ein Gericht stellen oder euch gleich in einen Seitenkanal werfen.«
»Was ist das?«
»Ein Ort, wo kein Hahn mehr nach euch kräht.«
»Wir haben doch gar nichts getan«, protestierte Cale.
»Das nehme ich an.« Er lachte wieder. »Aber sagt ihnen das nicht.«
»Wer steckt Eurer Ansicht nach hinter den Morden?«
IdrisPukke überlegte.
»In den Scablands treibt sich viel Gesindel herum, aber kaum einer würde es wagen, eine bewaffnete Gesandtschaft der Materazzi anzugreifen.«
»Wer sind die?«
»Großer Gott, bringt man euch denn dort gar nichts bei?«
Alle drei sahen ihn mit versteinerter Miene an.
»Na schön. Also die Materazzi herrschen in Memphis und im ganzen Gebiet von den Scablands bis zur Großen Bucht – aber nach euren Mienen zu urteilen habt ihr davon nie gehört.«
»Wie sieht Memphis aus?«
»Großartig. Es gibt nichts Prächtigeres auf der Welt. Einerlei, ob man etwas kaufen oder feilbieten möchte, dort gibt es nichts, was es nicht gibt. Das exotischste Essen, die verrücktesten Sitten, die schlimmsten Verbrechen. Du amüsierst dich, solange man dich nicht umbringt oder dich vergisst – und selbstverständlich, solange du Geld hast.«
»Geld haben wir nicht«, sagte Cale.
»Dann müsst ihr euch welches besorgen. Wer in Memphis kein Geld hat, ist ein Wurm. Und wer in Memphis ein Wurm ist, den findet bald einer, um ihn an seinen Haken zu stecken.«
»Was meint Ihr damit?«
»Genug gefragt. Ich fühle mich müde und zerschlagen. Wir reden morgen weiter.« Er blinzelte verschmitzt. »Wenn ich dann noch da bin.« Und damit wandte sich IdrisPukke ab und fing sofort zu schnarchen an.
Die anderen dachten, er scherze wie so oft. Umso verblüffter waren sie, als sie am anderen Morgen feststellten, dass IdrisPukke tatsächlich fort war.
Hauptmann Bramley ließ seine Wut zuerst an den drei Jungen aus. Die Tritte, die er ihnen versetzte, verleideten ihnen den Morgen, ohne dass der Hauptmann sich deshalb besser fühlte. Riba eilte herbei und bat ihn, damit aufzuhören.
»Warum sollten sie ihm bei der Flucht geholfen haben und selbst hierbleiben?«, gab sie zu bedenken. Und weiter: »Das haben sie nicht verdient!«
Die Jungen, die ungerechte Behandlung von Kindesbeinen an gewohnt waren, schwiegen stoisch und versuchten lediglich, ihre empfindlicheren Teile vor Bramleys Stiefelspitzen zu schützen. Zu ihrem Glück war er nur aufbrausend und zügellos, aber kein ausgepichter Menschenquäler, wie es die Jungen von den Erlösermönchen gewohnt waren. Dass die Strafe der Schwere des Vergehens entsprechen sollte, war ihnen so unbekannt wie ein Hund mit fünf Beinen. Auch die von den Mönchen so oft wiederholten Worte des Gehenkten Erlösers, »wer diesen Geringsten einen ein Leid antue, der werde in Ewigkeit in siedendem Öl kochen«, nahmen sie weder im übertragenen noch im wörtlichen Sinn ernst. Bei ihrer Ankunft hatte man den Jungen oft die alten Geschichten und Gleichnisse von der Liebe des Gehenkten Erlösers für die Kinder und die Geringen erzählt. Das Wohlergehen und Glück der Kleinen sollten allen, in deren Obhut sie gegeben waren, am Herzen liegen. Dass sie dann trotz dieser Botschaft der Liebe oft ohne erkennbaren Grund geschlagen wurden, erfüllte sie anfangs mit tiefem Groll. Mit den Jahren aber schwand dieser Widerspruch, und die trostreichen Worte gingen zum einen Ohr hinein und zum anderen hinaus. Das waren eben nur Worte.
Nachdem Bramley seinen ersten Zorn an den Jungen ausgelassen hatte, wandte er sich
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