Die linke Hand Gottes
dick gewordenen Maden zu zweien und dreien auf das Laken. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
Cale atmete erleichtert auf.
»Schmeißt die Maden weg und dann bringt mir neue. Das Gleiche noch einmal.« Und damit fiel er in einen tiefen Schlaf.
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
D rei Wochen später ritten IdrisPukke und ein immer noch gelb aussehender Cale hinauf zur großen Festung von Memphis.
Im Stillen hatte Cale einen offiziellen Empfang erwartet und obgleich er es vor sich selbst abstritt, wünschte er sich so etwas. Schließlich hatte er im Alleingang acht Kriegermönche zur Strecke gebracht und damit Arbell Schwanenhals vor einem grässlichen Tod bewahrt. Nicht, dass er Großartiges als Entschädigung für die bestandenen Gefahren forderte. Aber eine Parade von mehreren tausend Menschen, Blumen werfend und seinen Namen rufend und als Höhepunkt einen tränenvollen Willkommensgruß der schönen Arbell, vorzugsweise auf einem seidengeschmückten Podium stehend und neben ihr der Vater, sprachlos vor lauter Dankbarkeit.
Stattdessen nichts dergleichen, sondern wie üblich die Metropole Memphis in ihrem nie nachlassenden Verlangen, Geld zu scheffeln und wieder auszugeben, nur an diesem Tag unter einem dunkel dräuenden Himmel, denn ein Gewitter zog herauf. Als sie durch das Tor des mächtigen Bergfrieds ritten, hüpfte Cale das Herz in der Brust, denn in diesem Augenblick erscholl das große Geläut der Kathedrale und setzte sich im Klang der Glocken aller anderen Kirchen fort. Doch seine Hoffnung wurde von IdrisPukke sogleich zerstört.
»Die Glocken werden geläutet«, sagte er und zeigte auf die heranziehenden Gewitterwolken, »um den Blitz fernzuhalten.«
Zehn Minuten später stiegen sie vor dem Herrenhaus des Kanzlers Vipond ab. Ein einziger Diener stand bereit, sie zu empfangen.
»Gott zum Gruß, Stillnoch«, sagte IdrisPukke.
»Herzlich willkommen«, erwiderte der alte Diener. Dessen faltiges, tief zerfurchtes Gesicht erinnerte Cale an die alte Eiche auf dem Exerzierplatz der Ordensburg, von der keiner sagen konnte, wie viel an ihr noch am Leben und wie viel schon abgestorben war. IdrisPukke wandte sich an den erschöpften und verstimmten Jungen. »Ich muss Vipond meine Aufwartung machen. Stillnoch wird dir dein Zimmer zeigen. Abends essen wir zusammen. Wir sehen uns dann.« Und damit schritt er auf den Haupteingang zu. Stillnoch führte ihn zu einer Tür am rückwärtigen Teil des Hauses.
»Vermutlich irgendein stinkendes Loch«, dachte Cale in seinem Groll.
Tatsächlich aber war sein Zimmer, genauer gesagt seine Gemächer, höchst behaglich. Neben einem Salon mit Diwan und Eichentisch, verfügte er über ein Badezimmer mit eigener Toilette, was er früher als märchenhafte Phantasie abgetan hätte, sowie selbstverständlich ein Schlafzimmer mit einem breiten Bett und weicher Matratze.
»Möchtet Ihr ein Gabelfrühstück, junger Herr?«, fragte Stillnoch.
»Ja, gern«, erwiderte Cale, da ihm das Wort die Vorstellung einer kräftigen Kost beschwor. Stillnoch verbeugte sich. Als er zwanzig Minuten später mit einem Tablett zurückkehrte, auf dem sich ein Humpen Bier, Schweinefleischpastete, gekochte Eier und Bratkartoffeln drängten, lag Cale auf dem Bett und schlummerte.
Stillnoch hatte von Cales Waffentaten gehört. Er setzte das Tablett ab und betrachtete den schlafenden Jungen. Dessen gelbliche Haut und ausgezehrten Gesichtszüge – eine Folge des Wundfiebers, an dem er um ein Haar gestorben wäre – gaben ihm nicht gerade ein imposantes Aussehen, aber, so dachte Stillnoch, wenn er wirklich diesem arroganten Schnösel Conn Materazzi eine ordentliche Tracht Prügel verabreicht hatte, dann verdiente er allen Respekt. Er legte eine Decke über den schlafenden Jungen, zog die Vorhänge zu und verließ das Zimmer.
»Er ging durch das Lager der Mönche wie der Sensenmann höchstpersönlich. Ich habe in meinem Leben so manchen Schlächter gesehen, aber so einen wie diesen noch nie.«
IdrisPukke saß seinem Halbbruder gegenüber und trank Tee. Aus seinem Gesicht sprach Kummer.
»Und ist er wirklich nur ein Schlächter?«
»Offengesagt, wenn ich nur diese Seite an ihm gesehen hätte, ja, dann hätte ich mich schleunigst aus dem Staub gemacht. Und dir würde ich raten, ihn auszubezahlen und ihn möglichst bald loszuwerden.«
Vipond schien überrascht zu sein. »Meine Güte, du wirst mit dem Alter sentimental. Solche Leute sind doch sehr nützlich. Aber ich möchte von dir wissen, ob er mehr als
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