Die linke Hand Gottes
Aufmunterndes und zugleich Drohendes. Gemessenen Schrittes, graziös und elegant, kam die schlanke junge Frau auf Cale zu und reichte ihm die Hand.
Cale nahm die Hand, als wüsste er nicht, was er damit anfangen sollte. Ihm entging, dass Arbells Gesicht – man hätte es nicht für möglich gehalten – so bleich war wie Mondlicht auf frischgefallenem Schnee.
»Danke für alles, was Ihr für mich getan habt. Ich bin Euch sehr verbunden.«
IdrisPukke wunderte sich über diesen lauen Empfang. Er hatte in den letzten Worten eines zum Tode Verurteilten mehr Begeisterung und Lebendigkeit gehört.
Der Marschall sah seine Tochter scharf an, wurde jedoch zugleich gewahr, dass sie tatsächlich Angst vor dem jungen Mann hatte. Zu seiner Verärgerung über die mangelnde Beherrschung seiner Tochter gesellte sich echte Verwunderung. Bei aller Dankbarkeit – und seine Dankbarkeit war sehr groß, denn er liebte seine Tochter abgöttisch – war er irgendwie enttäuscht von Cale. Er hatte erwartet, nun, genau wusste er es nicht, jedenfalls jemanden, der über Ausstrahlung, über Charisma verfügte, wie alle zu kühnen Waffentaten fähigen Männer, die er in seinem Leben kennen gelernt hatte. Cale sah dagegen wie ein junger Bauernbursche aus, durchaus ansehnlich in seiner Art, aber eben doch eingeschüchtert und verlegen in der Gegenwart von Aristokraten, wie das bei Bauern stets der Fall war. Dass solch ein tumbes Geschöpf die Blüte der Materazzi-Jugend besiegen und so viele Feinde im Alleingang auslöschen konnte, schien ihm ein Rätsel.
»Setzen wir uns zu Tisch. Du musst doch hungrig sein. Setz dich bitte neben mich.« Und er legte Cale die Hand auf die Schulter.
Kaum hatte Cale gegenüber Arbell Platz genommen, fiel sein Blick auf das Besteck vor ihm, Gabeln unterschiedlicher Größe, dazu passende Messer, teils spitz, teils gerundet. Doch das Merkwürdigste von allem war ein Gerät, das wie ein Folterinstrument aussah – möglicherweise zum Extrahieren der Nase oder des Geschlechtsteiles. Es hatte die Gestalt einer Zange, die an einem Ende auf geheimnisvolle Weise ineinandergriff.
Er fühlte sich schon unwohl – eine unerklärliche Mischung aus Liebe und Hass für die junge Frau ihm gegenüber am Tisch, die ihm eben mit so viel Begeisterung die Hand geschüttelt hatte, als hätte sie es mit einem toten Fisch zu tun gehabt. Dieses undankbare Weibsstück! Er war sich jetzt sicher, dass er lächerlich aussah, und das ertrug er nicht. Schreckliche Schmerzen und selbst der Tod flößten Cale keine Furcht ein – denn wer war mehr als er mit beidem vertraut? – aber die Vorstellung, lächerlich zu wirken, raubte ihm alles Selbstvertrauen.
So kam es, dass er beinahe erschrak, als Stillnoch geräuschlos und von Cale unbemerkt hinter seinen Stuhl trat, ihm einen Teller hinschob und diskret »Schnecken« ins Ohr flüsterte.
Cale ahnte nichts von dem hohen, heldenhaften Ansehen, das er bei Stillnoch genoss, daher meinte er zuerst, »Schnecken!« sei eine vernichtende Beleidigung, die sich ein Diener, der ihm seine Anwesenheit unter den Großen und Mächtigen missgönnte, ihm gegenüber erlaubte. Dann kam ihm der Gedanke, dass es auch eine Warnung sein könnte. Doch wovor? Er sah vor sich auf den Teller und seine Verwirrung steigerte sich noch. Dort lagen sechs Objekte, die kleinen, spiralförmigen Helmen ähnelten, aus denen ein fleckiger Kleister quoll. Die Warnung bestand offenbar zu Recht.
»Ah!«, machte IdrisPukke mit der Übertreibung eines Schmierenkomödianten. »Vortrefflich. Schnecken in Knoblauchbutter.« Er saß neben Cale und hatte sogleich die Verlegenheit bemerkt, die der Junge angesichts des umfangreichen Essbestecks empfand und die sich beim Anblick der sechs Schnecken samt Gehäuse in Schrecken verwandelte. Nun, da er Cales Aufmerksamkeit und nebenbei auch die der übrigen Gäste bei Tisch geweckt hatte, nahm er mit der rechten Hand die merkwürdige Zange und drückte sie zusammen. Die beiden löffelartigen Enden gingen auf, er umschloss damit ein Schneckenhaus und hielt es fest im Griff. Nun wählte er einen kleinen Spieß mit Elfenbeinheft, stach in die Öffnung des Schneckenhauses und zog elegant, aber mit theatralischer Deutlichkeit, sodass Cale genau sah, was er tat, einen grünlich-grauen Gewebefortsatz in der Größe eines Ohrläppchens heraus. Er führte ihn zum Mund und verschlang ihn, nicht ohne einen weiteren genießerischen Laut von sich zu geben.
Die Tischgenossen wunderten sich anfangs
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