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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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über diesen Anschauungsunterricht, merkten jedoch rasch die Absicht, die dahinter steckte, und vermieden geflissentlich jeden Blick auf Cale, der finster seinen ersten Gang anstarrte.
    Es mag verwundern, dass ein Junge, der, ohne mit der Wimper zu zucken, Rattenfleisch aß, nun über Schnecken die Nase rümpfte. Doch er hatte noch nie in seinem Leben eine Weinbergschnecke gesehen, und wer hätte an seiner Stelle nicht ebenfalls eine wohl genährte Ratte im glänzenden Fell dieser Schnecke vorgezogen, die Schleimspuren auf faulenden Baumstämmen hinterließ?
    Verstohlene Blicke auf die Tischnachbarn werfend, nahm Cale die Zange, griff damit ein Schneckenhaus und zog mit dem kleinen Spieß den grauen, nach Knoblauch riechenden Glibber heraus. Er hielt einen Augenblick inne, dann führte er den Happen in den Mund und kaute mit der Begeisterung eines Mannes, dem das eigene Gemächt als Vorspeise serviert wird.
    Gott sei Dank war ihm die restliche Speisefolge vertraut oder zumindest sahen die Speisen dem ähnlich, was er bereits an IdrisPukkes Tafel gegessen hatte. Immer dem Vorbild seines Mentors folgend, benutzte Cale das übrige Besteck mehr oder weniger korrekt, wenngleich die Handhabung von Gabeln für ihn ein Geheimnis blieb. Die drei Männer bestritten die Konversation bei Tisch: Erinnerungen, Anekdoten aus der gemeinsamen Vergangenheit unter Vermeidung aller Indiskretionen und Skandale, die zu IdrisPukkes Verbannung geführt hatten.
    Während des ganzen Abendessens sah Arbell Schwanenhals nicht ein einziges Mal von ihrem Teller auf, aß jedoch auch kaum etwas. Hin und wieder warf ihr Cale einen Blick zu und jedes Mal schien sie ihm schöner – ihr blondes Haar, ihre grünen, mandelförmigen Augen und ihre Lippen! Das Rot der Lippen stach gegen die Blässe ihrer Haut ab, und der schlanke Hals war von einer unaussprechlichen Anmut. Seine Seele zitterte wie eine geläutete Glocke. Doch im Zittern der Glocke klang nicht nur Freude und Anbetung, sondern auch Zorn und Groll nach. Sie schaute ihn nicht an, weil sie nicht mit ihm an einem Tisch sitzen wollte. Sie hasste ihn, und er – wie hätte es anders sein können? – hasste sie ebenfalls.
    Kaum war der letzte Gang, Erdbeeren mit Schlagsahne, serviert, da legte Arbell Schwanenhals das Besteck nieder und sagte: »Verzeiht, ich fühle mich unwohl. Darf ich gehen?«
    Ihr Vater sah sie an, verbiss sich aber wegen der Gäste seinen Zorn. Er nickte nur demonstrativ, als wolle er seiner Tochter sagen: Wir sprechen uns später noch.
    Sie blickte nur kurz in die Runde, ohne Cale anzuschauen, und verließ die Tafel. Cale saß da und kochte innerlich. Ein aufgepeitschtes Meer von Gefühlen – Liebe, tiefe Kränkung und Zorn – brandete gegen die felsige Seele des jungen Mannes.
    Nach dem Abgang der jungen Frau bestand kein Grund mehr, das Thema der Entführung samt der Frage, welchen Zweck sie wohl hatte, auszusparen. Und nun wurde auch offen darüber gesprochen, warum es keinen rauschenden Empfang für Cale in den Straßen von Memphis gegeben hatte als Dank für die unerhörte Heldentat der Rettung Arbell Materazzis. Nur ein ganz kleiner Kreis von Eingeweihten wusste überhaupt davon. Der Marschall entschuldigte sich bei Cale und führte als Erklärung an, dass bei Bekanntwerden der Entführung ein Krieg unvermeidlich würde. Er und Lord Vipond waren sich darin einig, dass sie erst die Hintergründe für den unfassbaren Akt der Erlösermönche kennen mussten, ehe man so weit reichende Entscheidungen traf.
    »Wir sind blind«, sagte Vipond zu Cale »und laufen damit Gefahr, in ein solches Unternehmen hineinzustolpern. IdrisPukke sagt, auch du wüsstest nicht, weshalb die Erlöser eine solche Provokation begonnen haben?«
    »Nein, ich habe keine Ahnung.«
    »Wirklich nicht?«
    »Warum sollte ich lügen? Mir scheint das genauso unverständlich wie Euch. Die Erlöser haben uns immer nur vom Krieg gegen die Antagonisten erzählt. Und über die Antagonisten sagten sie nur, dass die dem Anti-Erlöser eine ketzerische Verehrung entgegenbrachten und deshalb vom Antlitz der Erde getilgt werden müssten.«
    »Und Memphis?«
    »Wenn überhaupt, dann wird nur mit Verachtung davon gesprochen. Ein Ort der Verworfenheit und der Sünde, wo für Geld alles zu bekommen ist.«
    »Ein strenges Urteil«, sagte IdrisPukke, »aber sie haben das Wesentliche erkannt.«
    Der Marschall und Vipond ignorierten diese Bemerkung.
    »Du kannst uns also auch nicht weiterhelfen?«, fragte der Doge.
    Cale

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