Die linke Hand Gottes
verließen den Salon.
»Na, das war ja eine tolle Geschichte«, sagte IdrisPukke, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. »War denn etwas Wahres daran?«
Cale lachte, erwiderte jedoch nichts.
Hätte er IdrisPukke eine Antwort gegeben, so hätte sie lauten müssen, dass seine düstere Warnung ausschließlich in seinem Wunsch wurzelte, Arbell Schwanenhals zu mehr Aufmerksamkeit ihm gegenüber zu zwingen. Sie verdiente es, für die Kälte, mit der sie ihn behandelte, bestraft zu werden. Das konnte er am besten, wenn er in der Lage war, zu entscheiden, wann er sie sehen wollte, und ihr mit seiner Gegenwart das Leben zur Hölle zu machen. Zwar war es ein harter Schlag für sein Herz, sich so ungeliebt zu wissen, aber er konnte, wie andere Menschen auch, mit qualvollen Widersprüchen leben.
Die Angst um seine Tochter machte den Marschall zu einer leichten Beute für Cale und dessen ominöse Andeutungen. Vipond dagegen war genauso wenig überzeugt wie IdrisPukke, allerdings sah er aber auch keinen Schaden in Cales Absichten. Dass die Erlösermönche die Tochter des Marschalls umbringen wollten, war nicht abwegig. Auf jeden Fall bekam der Marschall den Eindruck, dass etwas getan wurde, während Vipond Tag und Nacht daran arbeitete, sich Klarheit über die Pläne der Erlösermönche zu verschaffen. Schon jetzt hielt er einen Krieg für unvermeidlich und war bereit, so unauffällig wie möglich alle nötigen Vorkehrungen zu treffen. Doch in den Krieg zu ziehen, ohne zu wissen, was der Feind eigentlich vorhatte, hielt Vipond für verheerend. Deshalb kam es ihm sehr zupass, dass Cale sich seinerseits bemühte, etwas beim Marschall zu erreichen, was es auch sein mochte. Und so schwer war es ja nicht zu erraten, was Cale im Schilde führte. Der Junge wusste offensichtlich nichts über die Gründe für Arbell Materazzis Entführung, aber dass er zu ihrem Leibwächter avancierte, war beruhigend zu wissen. Vipond war ihm, wenngleich aus anderen Motiven, für ihre Rettung ebenso dankbar wie ihr Vater. Nicht auszudenken, welche politischen Folgen es hätte, wenn sich das beliebteste Mitglied der Materazzi-Familie in der Hand eines mörderischen Regimes wie dasjenige des Erlöserordens befände. Die Nachrichten von der Ostfront, an der sich Erlöser und Antagonisten einen mörderischen Stellungskrieg lieferten, sprachen von unglaublichen Schrecken. Die Aussagen der wenigen Flüchtlinge, die sich über die Grenze ins Reich der Materazzi retten konnten, ergaben jedoch ein stimmiges Bild der Gesamtlage und bestätigten die Berichte seiner eigenen Spione. Wenn es zum Krieg mit den Erlösern kam, dann verhieß es ein Konflikt von bisher nicht gekannter Härte zu werden.
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
S ag mir, was du über den Krieg der Erlöser gegen die Antagonisten weißt.«
Vipond sah Cale über seinen großen Schreibtisch hinweg streng an. IdrisPukke saß am Fenster und schien sich mehr für das zu interessieren, was draußen im Garten vor sich ging.
»Die Antagonisten sind die Anti-Erlöser«, fasste es Cale knapp zusammen. »Sie hassen den Gehenkten Erlöser und alle, die an ihn glauben. Sie wollen ihn vernichten und sein heiliges Werk vom Antlitz der Erde vertilgen.«
»Und glaubst du das?«, fragte Vipond. Er war erstaunt über Cales plötzlichen Wechsel von gewöhnlicher Rede zu monotonem Singsang.
»Zumindest war es das, was wir zweimal täglich in der Messe aufsagen mussten. Ich glaube den Erlösern kein Wort.«
»Was weißt du dann über die Antagonisten – über ihren Glauben?«
Cale schaute verblüfft drein und überlegte eine Weile.
»Nichts. Man hat uns nie gesagt, dass die Antagonisten überhaupt an irgendetwas glauben. Ihnen ging es allein um die Zerstörung des einen wahren Glaubens.«
»Hast du nie Fragen gestellt?«
Cale lachte. »Zum einen wahren Glauben wurden keine Fragen gestellt.«
»Wenn du aber wusstest, dass die Antagonisten die Erlöser so sehr hassten, warum hast du nicht versucht, in den Osten zu flüchten?«
»Dazu hätten wir erst fünfzehnhundert Meilen durch das Territorium des Erlöserordens zurücklegen und dann ein Schlupfloch an der siebenhundert Meilen langen Ostfront finden müssen. Und selbst wenn wir so töricht gewesen wären, es hieß immer, die Antagonisten würden jeden Erlöser sofort töten. Man erzählte uns immer vom Martyrium des heiligen Bruder Georg, der bei lebendigem Leib in Kuhseiche gekocht wurde, oder des heiligen Bruder Paulus, der, nachdem man ihn einen
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