Die linke Hand Gottes
Widerhaken gewaltsam schlucken ließ, vor zwei Pferde gespannt wurde, die ihm die Eingeweide aus dem Leib rissen. In Erzählungen und Gesängen war immer von den Kerkern und Folterqualen die Rede. Wie ich schon sagte, ich war nie auf den Gedanken gekommen, dass die Antagonisten etwas anderes im Sinn haben könnten, als Erlöser zu töten und den einen wahren Glauben zu zerstören.«
»Dachten deine Mitzöglinge genauso wie du?«
»Einige, die meisten aber nicht. Sie kennen nichts anderes, also stellen sie auch nichts infrage. Das ist eben ihre Welt. Sie denken, dass der Glaube sie retten würde, wer aber nicht glaubt, würde auf ewig in der Hölle braten.«
Vipond wurde ungeduldig. »Der Krieg gegen die Antagonisten hat zweihundert Jahre vor deiner Geburt begonnen. Was du mir bisher berichtet hast, läuft darauf hinaus, dass, einmal abgesehen von der Erziehung in dem einen wahren Glauben, ihr Zöglinge – und du im Besonderen – ausschließlich auf den Einsatz im Krieg vorbereitet werdet, ohne dass ihr irgendetwas über Siege und Niederlagen und über die Taktik, mit der diese oder jene Schlacht gewonnen oder verloren wurde, erfahren hättet. Das zu glauben fällt mir schwer.«
Viponds Zweifel war nur zu berechtigt. Cale hatte jede Schlacht und jedes Scharmützel zwischen Erlösern und Antagonisten mit dem Kriegsmeister durchgesprochen. Bosco stand dann immer neben ihm und schlug ihn mit dem nietenbesetzten Gürtel, wenn er in der Analyse der militärischen Operationen einen Fehler beging. Über zehn Jahre hatte Cale vier Stunden täglich die Kämpfe an der Ostfront in sich eingesogen. Allerdings entsprach es der Wahrheit, dass er nichts über den Glauben der Antagonisten wusste. Dass er sein Wissen über den Krieg für sich behielt, hatte seinen Grund in einer einfachen Überlegung: Wenn es zum Krieg zwischen den Erlösermönchen und den Materazzi kommen sollte, dann bedeutete das Tod und Elend. Das aber wollte er gerade nicht; wenn er jedoch zugab, über Strategie Bescheid zu wissen, dann würde Vipond ihn um jeden Preis mit hineinziehen.
»Was man uns erzählte, waren lediglich Geschichten. Es waren immer nur strahlende Siege oder Niederlagen aufgrund von schändlichem Verrat. Einzelheiten erfuhren wir nie. Fragen durften nicht gestellt werden.« Und dann tischte er noch eine weitere Lüge auf. »Ich wurde nur darauf abgerichtet, Menschen zu töten. Einzelkampf und finaler Zugriff in drei Sekunden.«
»Was um Himmels willen«, fragte IdrisPukke vom Fenster aus, »hat man sich unter einem finalen Zugriff in drei Sekunden vorzustellen.«
»Sehr einfach«, erwiderte Cale. »Ein Kampf auf Leben und Tod entscheidet sich in drei Sekunden und darauf kommt es an. Alles andere – die artistische Kampfkunst, die im Munus-Zirkel gelehrt wird – ist nur Schnickschnack. Je länger ein Kampf dauert, desto größer ist der Einfluss des Zufalls. Man kann stolpern, und dem eigentlich schwächeren Gegner gelingt ein glücklicher Hieb, oder er sieht die Schwäche und hat gerade einen starken Moment. Entweder man tötet den Gegner in drei Sekunden oder man muss die Konsequenzen tragen. Die Krieger am Cortinapass starben wie Hunde, weil ich ihnen keine Chance ließ, anders zu sterben.«
Cale legte es darauf an, zu schockieren. Schon als kleiner Junge war er ein begabter Lügner gewesen und nun war er ein Schlächter. Und der Grund war derselbe, nämlich um zu überleben. Er hatte die beiden Männer über eine Seite seiner Vergangenheit, die er nicht enthüllen wollte, im Unklaren gelassen, indem er über eine andere die volle Wahrheit sagte. Und je schockierender selbst für Viponds und IdrisPukkes Maßstäbe er darüber sprach, desto besser. Wenn die Materazzi glaubten, Cale sei nur ein junger, gnadenloser Schlächter, dann konnte ihm das nur recht sein. Es traf zwar zu, und das machte seine Rede überzeugend, aber es war bei Weitem nicht die ganze Wahrheit über ihn.
Vipond stellte Cale noch weitere Fragen, aber ob er ihm nun glaubte oder nicht, es wurde deutlich, dass der Junge nicht mehr preiszugeben bereit war. Deshalb ging er nun zum Thema Sicherheit für Arbell Schwanenhals über.
Aus dem schriftlich vorliegenden Sicherheitskonzept und aus Cales Antworten auf Viponds Fragen ging hervor, dass er nicht nur versiert war, tödliche Schläge auszuführen, sondern auch solche zu verhindern. Vipond zeigte sich zumindest in dieser Hinsicht mit Cales Antworten zufrieden. Dann nahm er eine dicke Akte in die Hand und
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