Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)
mich aus«, sagte sie missmutig zu Dr. Oompa Loompa.
Doch als sie nun mit ihrem Handy an der Tischtennisplatte saß und allen Mut zusammennahm, die Nummer des Bierkönigs zu wählen, für das geplantes Telefonat über ihre Zukunft bei Scuppernong, ertappte sich Clara dabei, wie sie über alle drei Zitate, welche die verschiedenen Ärzte ihr mit auf den Weg gegeben hatten, noch einmal nachsann. Und plötzlich klangen sie nicht bloß richtig, sondern sie ergaben sogar einen Sinn. Der große Robert Frost hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Das Leben geht weiter. Doch manchmal war es einfach zu schmerzhaft und schwierig – wenn nicht gar unmöglich –, das zu begreifen.
Es hatte eine Zeit in ihrem Leben gegeben, da war die verheißungsvolle Karriere bei Scuppernong genau das, was Clara wollte, und die Arbeit dort hatte ihr viel Freude gemacht. Zu lange hatte sie sich an der verblassenden Illusion dieser Freude orientiert. Ängstlich und verwirrt hatte sie sich, nachdem der Tod ihres Verlobten ihre Welt auf den Kopf gestellt hatte, an dem letzten verbliebenen Stückchen ihres einst so behaglichen Lebens festgeklammert. Aber dieses alte Leben war nichts weiter als ein schöner Teil der Vergangenheit, eine gern gehegte Erinnerung. Endlich akzeptierte Clara nicht bloß das, sondern auch die Tatsache, dass sie durch die Ereignisse ein anderer Mensch geworden war – ein anderer Mensch mit anderen Wünschen und Bedürfnissen. Als sie nun an ihrer Tischtennisplatte saß und ihre lange, erhellende Odyssee Revue passieren ließ, wurde ihr plötzlich bewusst, wie wenig ihre Vergangenheit noch mit ihrer Zukunft vereinbar war. In ihrem Herzen wusste Clara, dass es kein Zurück mehr für sie gab. Und darüber hinaus sehnte sie sich auch nicht mehr danach zurückzukehren.
Somit erklärte Clara dem Bierkönig mit neuem Mut, dass er und die Firma ihr sehr viel bedeuteten. Daran, dass ihre Arbeit einmal eine bedeutende Rolle in ihrem Leben gespielt, ihm eine Richtung gegeben und es erfüllt hatte, gab es schließlich nichts zu rütteln. Aber Teil der Trauerbewältigung und des Erwachsenwerdens war es nun einmal zu akzeptieren, dass die Dinge sich änderten.
Sie war sich zwar noch nicht im Klaren darüber, was die Zukunft für sie bereithielt, aber sie hatte nicht die Absicht, eine Lüge zu leben.
Und damit reichte Clara, die sich entschlossen hatte, wieder glücklich zu sein, ihre Kündigung ein.
Juli
30
Nach ihrer Rückkehr aus Wisconsin Dells verbrachten Clara und Lincoln fast jede Nacht miteinander, um all die verlorene Zeit nachzuholen. Mon Chéris Wassernapf wanderte vom Wohnzimmer in die Küche, wo er zum festen Inventar wurde, und Clara ließ eine Zahnbürste in Lincolns Badezimmer und eine Kopie ihrer Zeitkapsel-Liste neben einem Stapel alter Wissenschaftsmagazine, darunter die Fossilienzeitung , auf dem Schränkchen im Flur.
Spät an einem sengend heißen Abend kurz nach dem Unabhängigkeitstag, als Clara und Lincoln sich in ein altes Campingzelt verkrochen hatten, das sie in Lincolns angenehm klimatisiertem Wohnzimmer aufgestellt hatten, sprach er ihre Liste an. »Da kann ja nicht mehr viel übrig sein«, sagte er, während er neben Clara auf einem grünen Schlafsack für zwei lag und sie verliebt anschaute.
»Nö«, bestätigte sie auf dem Rücken liegend. »Jetzt, wo ich in einem echten Zelt schlafen streichen kann, sind eigentlich bloß noch sechs Punkte übrig.« Stolz hielt sie sechs Finger hoch.
»Sechs Punkte!« Lincoln küsste sie sanft auf die Schulter. »Nicht schlecht. Das ist toll.« Er küsste sie auf die rechte Wange. »Lass mal hören.« Er küsste sie auf die linke Wange.
»Tja, ich muss noch immer Leos verdammte Blockflöte wiederfinden, die offenbar unbedingt vergraben bleiben will«, sagte Clara, die ihre Liste mittlerweile auswendig kannte. »Ich denke ernsthaft darüber nach, das verdammte Plastikding zu zerdeppern, wenn ich es in die Finger bekomme. Dann wäre da noch einen eigenen Garten mit Avocadobaum haben .«
»Mmm, ich mag Avocados.« Lincoln küsste sie auf die Stirn.
»Und ich mag dich. « Clara zwinkerte ihm zu und fuhr fort. » Ein Heilmittel gegen Herzanfälle finden , Leo im Memory schlagen .« Sie seufzte wohlig, als Lincoln sie mehrfach sanft seitlich am Nacken küsste.
Plötzlich hörte er auf, sie mit Zärtlichkeiten zu überschütten, und sagte, ganz der Wissenschaftsnerd : »Das kriegst du hin. Das ist alles nur eine Frage der Mathematik und der Strategie.«
Clara
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