Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)
vorzustellen, dass es in ihrem Leben einmal eine Zeit gegeben hatte, als sie davon geträumt hatte, Mrs. Patrick Swayze zu werden. Oder überhaupt von etwas geträumt hatte …
Sie nahm das geheimnisvolle Päckchen hoch, das in kunstvoll geschwungener Schönschrift an Ms. Clara James Black adressiert war. Sie schüttelte es vorsichtig und untersuchte es nach einem Absender. Aber sie entdeckte keinen. Seltsam , dachte sie.
»Was ist das?«, fragte Clara Libby, als sie die Schachtel mit ins Musikzimmer brachte, das mit polierter Eichenverkleidung, glänzenden Stoffen und dick gepolsterten Ledermöbeln ausgestattet war und eine üppige Clubatmosphäre verströmte. Clara traf ihre Mutter und ihren Bruder vor dem Kamin an, in dem ein knisterndes Feuer brannte. Sie setzte sich auf die Couch neben Leo.
»Mach’s auf, Maus, und find’s raus«, sagte Libby, stand auf und holte Clara ein Weinglas.
»Das reimt sich, und was sich reimt, ist gut«, sagte Leo und nickte zustimmend.
»So ist es, mein Schatz«, erwiderte Libby grinsend. Dann fragte sie Clara: »Wie gefallen dir die Blumen in deinem Zimmer?« Sie wartete auf eine Antwort.
Und wartete.
Und wartete.
Clara spürte, wie Leo sie leicht mit dem Fuß anstieß. »Bitte?«
Libby und Leo tauschten besorgte Blicke.
»Äh … Libby hat dich was gefragt«, sagte er, um ihr auf die Sprünge zu helfen.
»Oh, tut mir leid.« Clara tat ihr Bestes, um wach und munter auszusehen. »Ich habe bloß«, sie griff nach der ersten Entschuldigung, die ihr in den Sinn kam, »über diese Schachtel nachgedacht.«
»Tja, du warst ganz offensichtlich in Gedanken versunken. Ich wollte wissen, ob dir die Blumen in deinem Zimmer gefallen.« Libby sah Clara aufmerksam an, während sie ihr Glas mit duftendem Merlot füllte.
»Die … Blumen?«, wiederholte Clara verwirrt. Sofort schaltete sie in den Flunkermodus, eine gut gemeinte Taktik, die sie mittlerweile gut beherrschte, aufgrund ihrer ständigen Bemühungen zu verhindern, dass die Leute sich um sie Sorgen machten. »Ach ja! Stimmt. Ich wollte mich schon bei dir dafür bedanken. Sie sind sehr schön!«
Libby nahm wieder in ihrem Clubsessel Platz und kniff die Augen zusammen. »Ach ja? Welche Farbe haben sie denn?«
Erwischt. Das gute Gespür ihrer Mutter hatte nie zu Claras Gunsten funktioniert. Seufzend zog sie den Kopf ein, sie hatte nicht die Energie, so zu tun, als hätte man sie nicht gerade auf frischer Tat mit den Pfoten in der Keksdose ertappt. »Mist. Tut mir leid, Libby. Ich hab nicht darauf geachtet. Aber ich bin sicher, sie sind wirklich sehr schön. All deine Blumenarrangements sind sehr schön. Die prächtigen Blumengestecke ihrer Mutter hätten in der Tat das Zeug dazu, es auf das Titelblatt von Wohnen & Garten zu schaffen, und auch wenn Claras Sträuße dagegen verblassten, hatte Libby ihre Leidenschaft für Blumen an sie vererbt.
»Das verstehe ich nicht. Ich dachte Chrysanthemen sind deine Lieblingsblumen«, seufzte Libby ernüchtert.
»Sind sie ja auch«, versicherte Clara ihr. Sie blühten im November – ein Hoffnungsschimmer in der kalten, dunklen Zeit –, und das war der Grund, warum Clara sie am liebsten mochte.
»Ich glaub’s nicht, dass du den Strauß nicht mal wahrgenommen hast. Er ist riesig! Bist du sowas wie ein Zombie?«
Clara wusste, dass ihre Mutter das im Scherz sagte, aber unterschwellig schwang etwas Ernstes mit. Wenn sie es recht bedachte, war Zombie eine ziemlich treffende Bezeichnung, musste Clara, die sich seit geraumer Zeit vollkommen taub fühlte, zugeben. Sie schenkte ihrer Mutter ein gezwungenes, wenig überzeugendes Lächeln.
Sie hatte wirklich ihr Bestes gegeben, wieder auf die Beine zu kommen nach Sebastians »Unfall«, wie sie es nannte. Das Wort Tod war für Clara zu schmerzhaft und endgültig, als dass sie es aussprechen könnte. Von einem Augenblick zum anderen war ihr Universum in sich zusammengestürzt und zu einer Erinnerung geworden. BAM ! In nur einer Sekunde. Einfach so … weg . Es erschreckte Clara jeden Tag aufs Neue, wie ein Augenblick – ein kurzer, winziger, klitzekleiner Augenblick – alles verändern konnte. Dieser Gedanke ließ sie jedes Mal erschaudern.
Und dennoch, obwohl es sich anfühlte, als hätte man ihr das Herz aus der Brust gerissen, hatte Clara nicht die Absicht gehabt, sich kampflos geschlagen zu geben. Zumindest nicht gleich. Deshalb hatte sie alles versucht, ihren unerträglichen Schmerz zu bewältigen und ihr Leben wieder in den Griff zu
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