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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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unerschrockenen Reporter erwartete. Die Anhörung war gerade eröffnet worden, und mit meiner Wenigkeit hatte man sicherlich nicht gerechnet.
    Hinter einem leicht erhöht stehenden Tisch saßen fünf Mitglieder des Bewährungsausschusses mit Namens-schildern vor sich. An einem zweiten Tisch hatte sich die Familie Padgitt versammelt – Danny Padgitt, sein Vater, seine Mutter, ein Onkel und Lucien Wilbanks. Ihnen gegenüber, an einem dritten Tisch, hatten mehrere Angestellte und Offizielle des Bewährungsausschusses und des Gefängnisses Platz genommen.
    Alle starrten mich an, als ich so unvermutet herein-platzte. Mein Blick wanderte zu Danny Padgitt, und eine Sekunde lang gelang es uns beiden, durch unsere Mimik die Verachtung auszudrücken, die wir füreinander empfanden.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, knurrte ein großer, schlecht gekleideter, alter Mann, der in der Mitte des erhöhten Tisches saß. Er hieß Barrett Ray Jeter und war der Vorsitzende des Ausschusses. Wie die anderen vier war er vom Gouverneur als Dank für fleißiges Stimmensammeln auf diesen Posten gehievt worden.
    »Ich bin zur Padgitt-Anhörung hier.«
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    »Das ist ein Reporter!«, kreischte Lucien, während er aufsprang. Eine Sekunde lang befürchtete ich, man würde mich auf der Stelle verhaften und für den Rest meines Lebens in eine Zelle stecken.
    »Für welche Zeitung?«, wollte Jeter wissen.
    »Die Ford County Times « , erwiderte ich.
    »Und Sie heißen?«
    »Willie Traynor.« Lucien und ich starrten uns herausfordernd an.
    »Mr Traynor, diese Anhörung ist nicht öffentlich«, sagte Jeter. Die gesetzlichen Bestimmungen waren in dieser Hinsicht nicht eindeutig, und daher wurden die Anhörungen des Bewährungsausschusses auch nicht groß angekündigt.
    »Wer ist berechtigt, bei der Anhörung dabei zu sein?«, erkundigte ich mich.
    »Der Bewährungsausschuss, der Häftling, seine Familie, seine Zeugen, sein Anwalt und eventuelle Zeugen der Gegenseite.«
    »Gegenseite« hieß die Familie des Opfers, was sich in dieser Konstellation wie »die Täter« anhörte.
    »Was ist mit dem Sheriff unseres County?«, fragte ich.
    »Der wurde auch eingeladen«, behauptete Jeter.
    »Unser Sheriff ist nicht verständigt worden. Ich habe vor drei Stunden mit ihm gesprochen. Genau genommen hat niemand in Ford County vor Mitternacht etwas von dieser Anhörung gewusst.« Diese Feststellung löste bei den Mitgliedern des Bewährungsausschusses heftiges Kopfkratzen aus. Die Padgitts berieten sich mit Lucien.
    Durch Ausschluss der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten folgerte ich, dass ich zum Zeugen werden musste, wenn ich hier bleiben wollte. »Da niemand aus 369

    Ford County die Gegenseite vertritt, melde ich mich als Zeuge«, sagte ich so laut und deutlich wie möglich.
    »Sie können nicht gleichzeitig Reporter und Zeuge sein«, wandte Jeter ein.
    »In welchem Gesetz von Mississippi steht das?«, fragte ich, während ich mit den Kopien herumwedelte, die ich mir von Harry Rex’ Gesetzestexten gemacht hatte.
    Jeter nickte einem jungen Mann in einem dunklen Anzug zu. »Ich bin der Anwalt des Bewährungsausschusses«, stellte sich dieser vor. »Sie können in dieser Anhörung als Zeuge aussagen, Mr Traynor, aber Sie können nicht darüber berichten.«
    Ich hatte vor, über jede noch so kleine Einzelheit der Anhörung zu berichten und mich dann hinter der verfas-sungsmäßig garantierten Pressefreiheit zu verstecken.
    »Wenn es nicht anders geht«, erwiderte ich. »Schließlich machen Sie die Regeln.« In weniger als einer Minute waren die Fronten klar: Ich stand auf der einen Seite, alle übrigen Anwesenden auf der anderen.
    »Wir wollen fortfahren«, sagte Jeter. Ich setzte mich neben eine Hand voll weiterer Zuschauer.
    Der Anwalt des Bewährungsausschusses verteilte Kopien eines Berichts. Er trug eine Zusammenfassung des Urteils gegen Padgitt vor und vermied es peinlichst, die Worte »nacheinander« und »gleichzeitig« zu verwenden.
    Aufgrund seines »beispielhaften« Verhaltens habe der Häftling jetzt Anspruch darauf, wegen »guter Führung«
    auf Bewährung entlassen zu werden, ein sehr vage definiertes Konzept, das vom Bewährungssystem und nicht von der Gesetzgebung des Staates kreiert worden war. Berücksichtige man zudem die Zeit, die der Häftling vor dem Prozess im Gefängnis des County verbracht habe, müsse er sofort auf Bewährung freikommen.
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    Dannys Sozialarbeiterin schilderte ihre Beziehung zu dem Häftling ausführlich und in den

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